Feind in Sicht
größere Strapazen bevorstehen, je weiter die Boote in den Sumpf vordrangen. Er warf einen schnellen Blick auf die Matrosen in seiner Nähe. Ihre Gesichter waren schmutzig und bedrückt, und sie schlugen die Augen nieder, als sie bemerkten, daß er sie beobachtete. Kämpfen und notfalls sterben, das konnten sie verstehen. Von vertrauten Männern und Dingen umgeben, waren sie auf den Kampf gefaßt und mit der strengen Disziplin und unanfechtbaren Autorität einverstanden. Doch ihre Haltung beruhte auf Vertrauen, auf einem Ehrenkodex. Dem Vertrauen aufeinander und auf die Tüchtigkeit ihrer Offiziere, die ihr Leben bestimmten.
Jetzt aber, unter dem Befehl eines Mannes, den sie nicht einmal kannten, und bei einer Aktion, die ihnen ebenso fragwürdig erscheinen mußte wie ihre Umgebung, kamen ihnen die ersten Zwe ifel. Und aus dieser Unsicherheit konnte der Keim eines Fehlschlags erwachsen.
Er sagte: »Geben Sie Befehl zum Ankern. Wir wollen Rationen verteilen und eine halbe Stunde rasten.« Er wartete, bis Allday das nachfolgende Boot benachrichtigt hatte, ehe er hinzufügte: »Pro Mann einen Becher Wasser, und sorgen Sie dafür, daß die Leute langsam trinken.«
Plötzlich fragte Pascoe: »Wenn wi r das Ende des Sumpfes erreichen, finden wir vielleicht frisches Wasser, Sir.« Seine dunklen Augen waren ernst und nachdenklich auf Bolitho gerichtet. »Aber ich nehme an, daß wir zuerst kämpfen müssen.«
Bolitho beobachtete den ersten Matrosen am Wasserbehälter. Er hob den Schöpfbecher an die Lippen und legte den Kopf weit zurück, damit er auch den letzten Tropfen bekam. Aber er hatte Pascoes Worte im Ohr, die ihm in diesem Augenblick mehr Sicherheit gaben, als er für möglich gehalten hätte.
Er erwiderte: »Ich zweifle nicht daran, daß uns sowohl Wasser als auch Kampf erwartet.« Dann lächelte er trotz seiner ausgedörrten Lippen. »Aber trink jetzt deine Ration, mein Junge, und warte ab; alles zu seiner Zeit.«
Gegen Abend wurde dann jedes Weiterkommen unmöglich. So sehr die Matrosen sich auch mit den Riemen mühten, das Boot steckte in einem Bett aus Schlamm und verrottenden Wasserpflanzen fest. Vergebens waren Shamblers Drohungen und Alldays Flüche. Die Männer stützten sich auf die Riemen, starrten nur in die sinkende Sonne und reagierten kaum. Sie waren erschöpft und dem Zusammenbruch nahe, und als Längs Boot sich näherte, wußte Bolitho, daß er sofort handeln mußte, wenn sie die letzte Tagesstunde noch nutzen wollten.
»Raus aus dem Boot! Bewegung!« Ohne auf die widerspenstigen Gesichter oder schwirrenden Insekten zu achten, stieg er nach vorn in den Bug, streifte sein Hemd ab und löste den Säbel, ließ sich dann zähneknirschend in das ekelerregende Wasser hinab und griff nach einer Schleppleine.
Allday schrie: »Jetzt aber ran!« Auch er schwang sich über das Dollbord, schlang sich eine weitere Leine über die Schulter und watete hinter Bolitho her, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, um zu sehen, wer ihm folgte.
Bolitho stapfte langsam durch den klebrigen Schlamm, spürte, wie er sich um seine Oberschenkel schloß und dann bis zu den Hüften stieg, während er sich vorwärts kämpfte. Die Leine schnitt ihm unter der vollen Last des Bootes in die Schulter. Dann hörte er Plätschern hinter sich, gefolgt von Flüchen und Stöhnen, als die Männer das Boot verließen und einer nach dem anderen ihre Plätze an den beiden Schleppleinen einnahmen.
»Zugleich!« Bolitho zog noch stärker, unterdrückte die aufsteigende Übelkeit, die ihm die stinkenden Gase verursachten.
»Zugleich!«
Widerstrebend und sehr langsam glitt das Boot in eine Stelle mit tieferem Wasser. Dann folgte eine weitere Barriere, und mehr als ein Seemann glitt fluchend und prustend im Schlamm aus. Schließlich waren sie durch. Zitternd und ächzend stemmten sie sich ins Boot zurück, wo neuer Schrecken auf sie wartete.
Den meisten saßen große Egel am Körper. Manche versuchten, die schleimigen Würmer abzureißen, aber Bolitho rief: »Mr. Shambler, reichen Sie die Lunte weiter. Einer nach dem anderen soll die Biester abbrennen. Sonst bekommt ihr die Köpfe nicht los.« Allday hielt die Lunte an sein Bein und fluchte, als der fette Egel auf die Bodenplanken fiel. »Mein Blut willst du saugen? Dafür sollst du braten!«
Bolitho hatte sich aufgerichtet und beobachtete, wie die sinkende Sonne die Schilfspitzen mit rot-goldenem Schimmer überzog und Drohung und Verzweiflung vorübergehend durch ihre fremdartige
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