Feind in Sicht
Schönheit vergessen ließ.
Die anderen Boote folgten. Die Besatzungen wateten über die seichten Stellen, ihre Gestalten verschwammen schon im schwindenden Licht.
»Wir wollen für die Nacht ankern«, sagte Bolitho. Lang in dem anderen Boot nickte zustimmend. »Aber wir wollen noch vor der Morgendämmerung aufbrechen und versuchen, den Zeitverlust wieder wettzumachen.«
Er musterte seine Leute. Die Matrosen kauerten auf ihren Plätzen, kaum fähig, sich zu rühren.
»Teilen Sie immer einen Mann als Wache ein, Allday. Wir sind alle so erschöpft, daß wir sonst bis Tagesanbruch und noch länger schlafen.«
Er ließ sich langsam auf die Ducht zurücksinken. Pascoe schlief bereits, den Kopf gegen das Dollbord gelehnt, seine eine Hand hing beinahe bis ins Wasser. Behutsam hob er den Arm des Jungen ins Boot und lehnte sich dann gegen die Ruderpinne.
Hoch oben erschienen bleich die ersten Sterne, und das Schilf ringsum rauschte leise in der plötzlichen Abendbrise. Einige Augenblicke wirkte sie nach der Hitze und dem Schmutz des Tages beinahe erfrischend, doch dieser Eindruck verging schnell.
Bolitho saß zurückgelehnt und beobachtete die Sterne. Er versuchte, nicht an die Stunden und Tage zu denken, die vor ihnen lagen. Im Bug stöhnte ein Mann im Schlaf auf; und ein anderer flüsterte leidenschaftlich einen Frauennamen, um gleich darauf wieder zu verstummen.
Bolitho zog die Knie ans Kinn, die getrocknete Schlammkruste zerkratzte ihm die Haut. Er blickte auf den schlaff vor ihm liegenden Pascoe hinunter. Ob auch er träumte? Von seinem Vater, den er nie gesehen hatte? Von einer Erinnerung, die für ihn verhaßt und beschämend geworden war?
Er legte die Stirn auf die verschränkten Arme und war auf der Stelle eingeschlafen.
Angriff im Morgengrauen
Während des ganzen nächsten Tages ging der alptraumartige Marsch durch den Sumpf weiter, und ständig wurden ihre Qualen durch die unbarmherzige Sonne noch gesteigert. Ob sie die Boote stakten oder watend durch den zähen Schlamm zogen, war allen schon gleichgültig. Sie hatten jedes Zeitgefühl verloren und zählten auch nicht mehr, wie oft sie die Boote verließen und wieder an Bord kletterten. Ihre Körper und zerrissene Kleidung waren dick von Schmutz bedeckt, ihre Gesichter aufgequollen vor Erschöpfung.
Jetzt hatten sie im Sumpf eine offene Strecke erreicht, an der keine erkennbare Strömung die Oberfläche kräuselte. Sie war von einer dicken grünen Algenschicht bedeckt, Binsen und Schilf standen in vereinzelten Gruppen wie Geschöpfe von einem anderen Planeten.
Am späten Nachmittag, als sie die Boote über eine halb versunkene Insel aus weichem Sand schleppen mußten, ließ einer der Männer die Leine fahren und stürzte um sich schlagend und schreiend nieder. Da er völlig von Schlamm und Algen bedeckt war, konnte man zunächst nicht erkennen, was geschehen war. Ein Teil der Leute drängte sich unsicher und erschreckt um das Boot, während Bolitho und Allday den keuchenden Mann hineinhievten. Mit einem in Frischwasser getauchten Lappen säuberte Bolitho eine Stelle tief unten am Bein des Verletzten und legte eine kleine blutende Wunde frei. Er mußte auf eine Schlange getreten sein, der Biß war klar zu erkennen. Allday blieb bei dem Verletzten an Bord, während Bolitho die anderen wieder an die Schleppleinen befahl. Er wußte, daß es gegen das Schlangengift keine Hilfe gab; die Leute danebenstehen und zusehen zu lassen, wie ihr Kamerad elend starb, konnte nur schaden.
Während sie sich weiter durch den Sumpf kämpften, wurden sie von den grauenvollen Todesschreien des Mannes verfolgt; als Bolitho sich einmal umsah, bemerkte er, daß die Matrosen ihn aus rotgeränderten Augen in schmutzbedeckten, unrasierten Gesichtern beobachteten und mehr Haß auf ihn als Mitgefühl mit ihrem Kameraden verrieten.
Barmherzigerweise brauchte das Gift nur eine Stunde, um sein Werk zu vollenden; der leblose Körper wurde einfach über Bord gestoßen, eine grimmige Warnung für jene Boote, die dicht hinter ihnen folgten.
Die meisten konnten ihre Rationen aus Rindfleisch und hartem Schiffszwieback nicht mehr zu sich nehmen und begnügten sich mit der kärglichen Zuteilung an Trinkwasser. Bolitho hatte sie während einer kurzen Rast beobachtet. Die hastigen Bewegungen und die trüben Augen in den erschöpften Gesichtern waren ihm nicht entgangen, ebensowenig die Art, wie sie über jeden Schöpfbecher Wasser wachten, mit einem Ausdruck, der eher tierisch als menschlich
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