Feindberührung - Kriminalroman
auf die zarten Anfänge einer Glatze. Blasse Haut, weiche Wangen, schmale Hände und Finger. Köterblondes, zurückgekämmtes Haar, graublaue Augen. Tweedsakko, Cordhose, bordeauxroter Rolli, braune Fullbrogue-Schuhe. Kein schöner Mann, noch nicht mal markant. Das einzig Auffällige an Blum war seine Stimme. Sie war wesentlich dunkler und männlicher, als man bei seinem bloßen Anblick hätte vermuten können. Und Blum konnte einen mit seinem Blick festhalten. Er war imstande, unbedingtes Interesse für andere zu zeigen und hinter gut gezielten Fragen ein tiefes Verständnis aufscheinen zu lassen, blieb dabei aber selbst kaum greifbar. Therese vermutete im Stillen, dass es das war, was sie zu ihm hinzog. Blum schien in sie hineinzuschauen. Sie war sicher, wenn dieser Mann sich in eine Frau verliebte, dann meinte er sie wirklich und nicht ein Bild, das er sich gebastelt hatte. Andererseits – war Blum überhaupt in der Lage, solch einen Kontrollverlust zu erleiden?
Jedenfalls hatte er Humor, ausgezeichnete Umgangsformen und war frei von Machismo, ohne schlaff zu sein. Das war eine Menge, wenn man sich die Mehrzahl seiner Geschlechtsgenossen betrachtete.
» Sehr schön!«
Therese schreckte zusammen, als Blum die Akte schloss.
» O Verzeihung, Frau Svoboda.«
» Nein, nein«, lachte Therese auf, » wie kann ich nur in ihrem Büro schlafen!« Sie verdrehte die Augen nach oben.
» Sie werden den Schlaf schon nötig haben, so gründlich wie Sie und Ihre Kollegen mal wieder gearbeitet haben. Ich kann guten Gewissens das Verfahren einstellen, und wir fügen der langen Liste an ausstehenden Hauptverfahren keinen neuen Punkt hinzu. Außerdem können jetzt ein paar Menschen wieder ruhiger werden, die schon beinahe vor den Trümmern ihrer Existenz standen. Das nenne ich Erfolg!«
» Danke, Herr Blum.«
» Frau Svoboda, ich weiß, dass Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs für Sie von besonderer Schwere sind. Umso höher ist daher zu bewerten, dass die entscheidenden Belege für Herrn Niggemeyers Unschuld von Ihnen erbracht wurden.«
Da war der Blum-Blick. Therese wich aus, hüstelte und fasste dann spontan einen Entschluss.
» Dann laden Sie mich doch als Anerkennung ins › Fleur ‹ ein. Ich habe Lust auf Kaffee und Brioche«, sagte sie etwas zu forsch und schob ein unsicheres Lachen nach. » Um Himmels willen, nein, es war ein Witz.«
Blum stand wortlos auf, ging zum Kleiderständer, nahm seinen Mantel und den Schal, legte beides über den Arm, setzte seinen Hut auf und griff dann nach Thereses Winterjacke. Er platzierte sich neben ihrem Stuhl und hielt lächelnd die Jacke für sie auf.
Therese schob den Stuhl im Aufstehen nach hinten, schlüpfte sehr damenhaft in die Ärmel und griff sich danach Blums Mantel, um nun ihrerseits ihm hineinzuhelfen. Blum spielte Bestürzung, knickste formvollendet und drehte sich elegant in das Kleidungsstück hinein.
Grewe steuerte Thereses Auto in nordöstlicher Richtung. Die Altstadt hatte er schon hinter sich gelassen und fuhr auf einer mit Mehrfamilienhäusern gesäumten kurvigen Straße einen steilen Berg hoch, die Sinzler Höhe. Gott sei Dank war hier schon geräumt, sonst hätte er es mit dem leichten Fahrzeug vielleicht gar nicht geschafft. Oben lagen die Justizvollzugsanstalt, ein kleines Industriegebiet und die heruntergekommene Hochhaussiedlung, die jeder Polizeibeamte der Stadt wie seine Westentasche kannte, außer den Kollegen von der Wirtschaftskriminalität: Finanzverbrechen konnte dort oben keiner begehen. Die der Sinzler Höhe nächstgelegene Polizeiwache befand sich zwar in einem der schönsten Barockhäuser der Stadt am äußersten Rand des alten Zentrums, aber dort zu arbeiten, galt als Kriegsdienst. Die Beamten rückten täglich mindestens einmal mit Blaulicht Richtung Höhe aus, meist trugen sie Stichschutzwesten, wenn sie zu ihren Wagen rannten. In diesen Höhlensystemen konnte einem alles passieren. Am gefährlichsten waren Familien- oder Nachbarschaftsstreits. Da waren die Polizisten gehalten, zunächst so defensiv aufzutreten wie UN-Blauhelme, beide Seiten trennen, sich alles anhören, beruhigend wirken. Doch die Eskalation konnte aus dem Nichts kommen. Eine Geste hinter dem Rücken der Polizei, ein zugedröhnter Kombattant, der plötzlich einen chemischen Schub bekam, oder eine schon Minuten zurückliegende Beleidigung, die nach langem Herumirren doch noch einen funktionierenden Teil des Bewusstseins erreichte. Hier oben war der Schritt von Fäusten zu
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