Feindberührung - Kriminalroman
beobachten. Zwei, drei Minuten waren vergangen, Bomber hatte sich überhaupt nicht gerührt. Er war aus dem Schrank geschlüpft, hatte vorsichtig seine Beine gestreckt und die Gelenke gelockert, immer den Schlafenden im Blick. Das Kampfmesser hatte stoßbereit in seiner Rechten gelegen seit er in den Schrank gekrochen war. Mit einem gleitenden Schritt war er neben den Rollstuhl gelangt.
Bombers Augäpfel bewegten sich wild hinter den Lidern. Er hatte das Messer zum Stoß angesetzt und konnte den Entschluss kalt in seiner Brust spüren, es war, als ob er Eis atmete. Gleichzeitig legte sich eine dämpfende Schicht um seinen Kopf, ließ ihn nichts mehr hören außer dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Der Moment war da.
Und genau in diesem Augenblick war Bombers Rechte nach oben gezuckt und der ganze Körper in dem Rollstuhl in Aufruhr geraten. Bomber hatte plötzlich mit beiden Händen in der Luft hantiert, als fassten sie ein Lenkrad, und war dann mit einem unartikulierten Laut zu Boden gerutscht. Ihm war nichts übrig geblieben als sich einfach wegzuducken, der Schreck hatte ihn eine Sekunde zu lange gelähmt, und jetzt war die Situation grundlegend verändert, Bomber war wach geworden.
Es war die richtige Entscheidung gewesen, nicht einfach loszustürmen, das hielt er sich im Nachhinein zugute, und immerhin hatte er schnell genug begriffen, dass das Überraschungsmoment noch nicht wirklich verloren war: Bomber war zwar wach, aber er hatte keine Ahnung, dass er nicht allein war. Er lag auf dem Rücken, und seine Beinstümpfe zuckten wie wild, er schlug sich ins Gesicht, dann trommelte er auf seiner Brust herum.
In diesem Augenblick hatte er an den alten Bomber denken müssen, den Bomber mit Beinen. Musste auch jetzt wieder an ihn denken, jetzt, wo endgültig Schluss war mit Bomber Rems. Obwohl, eines musste man ihm lassen, er hatte nicht rumgejammert, nahm es wie ein Mann: das mit den Beinen damals und seinen Tod jetzt. Die Augen. Als ob Bomber einverstanden war. Oder?
Grübeln brachte nichts, es war unumgänglich gewesen. Bomber hatte sterben müssen.
Der Mann, der Bomber Rems getötet hatte, hob den Kopf, löste sich vom Türrahmen und sah sich um. Was für eine Drecksbude. Auf dem PC-Bildschirm ein Standbild. Eine Frau erstickte beinahe an einem riesigen Schwanz, Sperma quoll aus ihren zum Platzen gespannten Lippen. Er klickte mit der Maus die Site weg. Dann schaute er sich den toten Bomber in Ruhe an. Er trug eine graue Boxershort mit Eingriff, sein Glied hing schlaff aus dem Schlitz. Im Sterben hatte er sich eingepisst und, wie es roch, auch eingeschissen. So war das halt. Zwischen Daumen und Zeigefinger von Bombers rechter Hand klebte der verglimmte Stummel eines Joints, die Fingerkuppen hatten Brandblasen. Das olivfarbene T-Shirt war blutdurchtränkt, auf den Ärmeln die deutsche Flagge, darunter wucherten auf beiden Armen Tätowierungen in Richtung der Handgelenke. Bombers Gesicht wollte der Mörder sich nicht mehr ansehen. Er hatte auch keine Zeit mehr. Hier war noch einiges zu tun.
Eine Stunde später schlüpfte der Mann in sauberer Kleidung, einen offenen Rucksack in der Hand, aus der Wohnungstür in den dunklen Flur des Hochhauses. Es war ganz still. Er schloss die Tür leise, strich mit der linken Hand über Türschloss und Knauf, anschließend zog er vorsichtig einen dünnen Gummihandschuh ab und verstaute ihn im Rucksack. Ohne Hast, aber zügig und nahezu geräuschlos verließ er das Haus und verschwand in der Nacht.
2
Grewe! Fischbrötchen um die Uhrzeit, eklig!« Mit Daumen und Zeigefinger hielt sich Therese Svoboda die Nase zu, während sie mit dem linken Stiefelabsatz die Bürotür zutrat. Auf dem rechten Unterarm balancierte sie das Tablett mit zwei Schokocroissants und zwei Milchkaffee.
» Das ist ein vernünftiges Frühstück.« Sie stellte das Tablett ab, nahm einen Teller und einen Kaffee, stellte beides auf den Schreibtisch ihres Kollegen Kurt Grewe, danach bediente sie sich selbst.
» Seit wann esse ich Schokocroissant?«, fragte Grewe, und dabei flogen winzige Brötchensplitter gegen die Fensterscheibe. Draußen tanzten Schneeflocken im Wind, der Himmel war grau. Aber den Blick aus dem Bürofenster liebte Grewe bei jedem Wetter. Man schaute auf den wunderschön umbauten Garnisonsplatz, eine Anlage aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Der Platz war großzügig bemessen, schließlich wollte der seinerzeit hier residierende Landgraf dort wöchentlich das große
Weitere Kostenlose Bücher