Feindesland
eingezogen wurde, stehen Caterinas Eltern mit ein paar Männern in Anzügen am Tisch und legen die Hände auf Hartmuts Schultern, der soeben die Verträge unterschreibt. Caterina und Susanne haben es schon getan. Sie stehen am Fenster und sehen in die Zukunft hinaus, die niemand von uns mehr mit irgendetwas füllen will außer mit dieser »Pause«.
Yannick läuft zwischen uns allen hin und her, versucht, ein festes Standbein zum Schmusen zu finden, weiß nicht, was los ist.
Ich gehe zum Tisch und beuge mich über die Papiere. Wenn ich unterzeichne, ist es geschehen, und MyTaxi gehört samt all seiner Angestellten und allem Inventar einem neuen Investor. Der Mann ist Ende dreißig, hat vorher eine Techno- und Ambient-Plattenfirma betrieben und eine Konkurrenzlimo zur Bionade entworfen und verspricht, die Firma in unserem Sinne gut weiterzuführen. Schließlich kaufe er das Ding ja nicht, um die Idee, die es trägt, kaputtzumachen. Nur vier Autos sind aus dem Firmenvermögen ausgeschieden. Vier der einfachen Taxen, zu 100 % abbezahlt und staatsfrei, wieder umgesprüht zu ganz normalen Fahrzeugen. Sie warten auf uns. Um uns in verschiedene Richtungen zu bringen.
Ich unterzeichne die Papiere, lege den Stift ab, streichele Yannick, der sich an mir festzuhalten versucht, und gehe hinaus auf den Hof. In der Werkhalle wird gearbeitet, lackiert und geschweißt, in der Zentrale telefoniert. Das Heavy-Metal-Taxi biegt mit großem Getöse aufs Gelände ein; der Love Wagon verlässt es gerade, als würde das Leben der Anderen einfach so weitergehen. Tut es ja auch. Wenigstens das.
Caterina kommt zu mir und legt die Arme um mich. So wie Partner es tun, die den härtesten Teil einer Trennung schon hinter sich haben. Ich drehe mich um und sehe sie an. Ihre wunderschönen grünen Augen, die so euphorisch strahlen können wie die eines Kindes. Gleich wird sie in den Wagen steigen und ihren Eltern folgen.
»Nur ein paar Wochen«, sagt sie. »Wir brauchen das jetzt alle.«
Sie hat recht.
Wir haben es so beschlossen.
Unsere Schildkröte Irmtraut wird von Susanne in einer Schachtel aus dem Haus getragen. Irmtraut zieht mit ihr nach Köln, vorerst.
Hartmut trägt Yannick heraus, im Katzenkorb, schluckt und setzt ihn in mein Auto. Mir steht der Kater am nächsten. Ich kenne die Tricks, die ihn am glücklichsten machen. Ich weiß, wie schwer Hartmut das fällt. Die Playstation steht auch bei mir im Wagen. Es war keine Frage, dass auch wir uns eine Zeitlang trennen. Unsere Eltern leben in derselben Stadt, wir sind nicht aus der Welt. Nur Hartmut, der will weg, der will raus in die Welt. Nicht aus Neugierde, sondern weil er flüchten muss. Ich will nur in ein dunkles Zimmer. Hartmut flieht nach außen, ich fliehe nach innen.
Was sagen die Physiker? Es gibt unendlich viele parallele Universen? Dann sind wir in genau dem gelandet, für das wir niemals bestimmt waren. Unsere Körper sind noch hier, aber unsere Seelen sind an dem Ort geblieben, an dem Lisa im Becken von Dr. Changs Praxis das Licht der Welt erblickt und schon ein Jahr später so begeistert zusieht, wie wir Super Monkey Ball spielen, wie es auch der kleine Yannick tut, wenn die Äffchen in ihren Kugeln rollen. Ich bin auf einem schmalen Grat balanciert. Ich bin gefallen.
Am Tor stehen Jochen und Mario. Cevat, Samir, Bodo, Kommunist Konrad, der taubstumme Bassermann und der verrückte Veith kommen hinzu. Auf dem Pflaster sieht man immer noch die Reste von der Öl- und Farbpfütze, die entstanden ist, als wir unsere Familie verteidigt haben. Gegen die eine Sorte Verbrecher konnten wir unsere Stellung halten. Gegen die andere nicht.
Viele Umarmungen, Küsse, Floskeln.
Ich bekomme sie kaum mit, nur Jochen und Mario drücke ich ganz fest und wünsche mich zurück auf ihren Balkon in Dortmund vor drei Jahren, wo Hartmut und ich uns die Demos auf der Straße ansahen, hoch über der Schlacht, sicher und geborgen und nicht mittendrin.
Nach der Bussi-Bussi-Orgie lassen sie uns alleine. Caterina, Susanne, Hartmut und mich. Die Familie unter sich. In den Autos warten die Tiere und unser gesamtes Hab und Gut, wieder mal nur ein paar PKWs voll.
Ich küsse Caterina ein letztes Mal. Lang, tief und innig.
Es ist nur auf Zeit.
Hartmut umarmt Susanne und küsst sie ebenfalls, auf die Stirn. Was zwischen ihnen zerbrochen ist, braucht mehr Zeit zum Kitten, auch wenn niemand etwas dafür kann. Er flüstert ihr etwas zu. Sie sieht ihn an, lange. Dann umarmen sie sich noch
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