Feindesland
mal.
Als die Frauen in die Autos gestiegen sind, stehe ich mit Hartmut alleine auf dem Hof und sehe ihn an. Seine Augenwinkel zittern.
Auch mir ist zum Weinen zumute, aber zugleich denke ich daran, dass ich das Leben, das jetzt kommt, ohnehin nur alleine leben kann. Ich muss mich verkriechen. Allein, nur mit Yannick, die Rollos unten, den ganzen Tag.
»Es tut mir so leid«, sage ich.
Hartmut läuft eine Träne die Wange hinab.
»Ich hab dich lieb«, sagt er.
»Ich dich auch«, sage ich.
Dann umarmen wir uns.
»Fahr nicht zu weit weg«, scherze ich, weil Männer spätestens jetzt scherzen müssen, »nicht, dass ich dich dann eines Tages als Einsiedler am Nordkap sehe, in der ProSieben-Reportage.«
Er lächelt bemüht und schüttelt den Kopf.
»Wir dürfen uns nicht ganz verlieren«, sage ich und merke, dass dieser Satz mehrere Bedeutungen hat.
Hartmut sagt: »Erst mal nur raus hier. Raus aus diesem Land.«
Ich halte noch einen Moment die Hand meines Freundes, den ich nun so viele Jahre begleitet habe, lasse dann los und gehe zu meinem Wagen. Von innen kratzt Yannick an die Scheibe, als wolle er sagen: »Nein, trenne uns nicht!«
Ich steige ein, kraule ihn und sage: »Ganz ruhig, Kleiner. Ist nur vorübergehend.«
Dann setzen sich die Wagen in Bewegung.
Ich warte.
Nach und nach fahren sie an mir vorbei. Susanne mit Irmtraut im Karton, das Nävi auf Köln eingestellt.
Hartmut, dessen Kotelette an der Scheibe kratzt und der wahrscheinlich heute Nacht so lange fahren wird, bis die Grenze kommt.
Und Caterina, meine Liebe, die dem großen Kombi ihrer Eltern folgt, erst mal heim in die Welt der Schlauen und Reichen, von denen sie sich nie mehr aushalten lassen wollte, die sie jetzt aber noch eher aushalten kann als unser altes Leben.
Eigentlich mussten die Wagen jetzt im Zeitraffer vorbeifahren, während langsam der Regen einsetzt und eine traurige Pianomelodie zum Abschied spielt, bevor von oben die Namen der Darsteller ins Bild laufen.
Aber das ist kein Film, und es ist August. Scheiß Sommer.
Ich sehe Mario, Jochen und Cevat im Rückspiegel und winke ihnen. Dann versichere ich mich, dass ich mein Telefon dabeihabe, in dem alle ihre Nummern gespeichert sind. Ich taste nach dem Handy unter Yannick, der aus dem Körbchen gesprungen ist und den Beifahrersitz mit den Krallen zerschrotet. Ich finde es im warmen Fell seines Bauches, ziehe es heraus, lege es in die Mittelkonsole, lege den Gang ein und gebe Gas.
Die Hui-Welt
Mehrere hundert Treffer verzeichnet Google mittlerweile für den Gebrauch des Adjektivs »hartmutesk«. Hartmutesk sein bedeutet, die Welt wie ein Videospiel zu betrachten, in dem alle Handlungsoptionen offen sind, solange man sich traut, sie auszuführen. Hartmutesk sein bedeutet, das Rauschen der öffentlichen Meinung zu ignorieren, den Kanon zu düpieren und zu leben, wie man will. Hartmutesk ist, wer sich gerne in Details verstrickt, alles hinterfragt und lieber aus dem Fluss steigt, als gegen den Strom zu schwimmen.
Sylvia Witt und Oliver Uschmann sind hartmutesk. Gemeinsam erschaffen sie seit 2004 die Hui-Welt, in der alles mit allem zusammenhängt. Romane, Homepages, Hörbücher, improvisatorische Multimedia-Live-Auftritte und aufwendige Aktionen. Unter www.hartmut-und-ich.de laden sie in die Bochumer WG der ersten Romane ein und geben den Figuren eine Stimme. Jochen veröffentlicht dort seinen »Trashtest«, Hartmut und »Ich« diskutieren regelmäßig in der »Wannenunterhaltung« dialektisch über Musik. Auf www.wandelgermanen.de zum gleichnamigen Roman kann man zehn Spiele spielen und beim Quizzen diffizilste Details zur Hui-Welt erfahren. Im Kulturgut Nottbeck präsentieren sie noch bis zum 31.07.2010 die Ausstellung »Ab ins Buch!«, in der die Besucher sich in Hartmuts WG lümmeln, Playstation spielen und Wünsche für kommende Romanplots auf die Tapete schreiben können. Unter www.haus-der-kuenste.de finden sich die Bilder der Künstler, die bei Sylvia Witt ausstellen und ihren Weg in so manchen Roman finden. Oliver Uschmann wiederum betätigt sich unter www.wortguru.de ähnlich wie Hartmut als Ratgeber, allerdings nicht für das Leben, sondern für das Schreiben. Hier bietet er Seminare und Textprüfungen an und entdeckt ab und an ein hartmuteskes Schriftstellertalent. Auf der Bochumer Hui-Seite kann man Requisiten aus den Romanen erwerben, jede Leserpost wird persönlich beantwortet, wer mit Freunden zusammenlegt, kann eine Hui-Performance auch für private
Weitere Kostenlose Bücher