Feindgebiet
hingeben. Und wir sind bereit, bis zum letzten Tahn zu sterben, sollte unsere Ehre beschmutzt werden.«
Wieder kostete sie den Augenblick aus und senkte den Kopf.
»Denn ohne Ehre gibt es für uns keine Zukunft«, fuhr sie fort. »Ohne Ehre sind die Tahn als Rasse ausgelöscht. Und wenn wir alle sterben, um diese einzigartige und heilige Vision unserer selbst zu erfüllen – was spielt das schon für eine Rolle? Selbst wenn keiner von uns mehr übrig bleibt, so haben wir doch der Geschichte unser Zeichen eingebrannt!
Und in tausend Jahren noch – und noch einmal tausend Jahre später – wird man über uns lesen und sich über den Standard der Ehre wundern, den wir einst gesetzt haben. Und diese zukünftigen Rassen werden sich wegen ihrer Schwäche verfluchen, sich als Feiglinge bezichtigen, weil kein Lebewesen jemals wieder diese Stufe erreichen wird. ›Aber sie sind doch alle gestorbene, werden ihre Kinder vielleicht einwenden. Und ihre Eltern werden nicken. ›Ja‹, werden sie sagen, ›doch sie starben für die … Ehre!‹«
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sich die Menge wieder beruhigt hatte und Lady Atago fortfahren konnte. Sie schrien und weinten und fielen einander in die Arme und reichten Kinder von Schulter zu Schulter weiter, damit sie alle schon heute die Geschichte berühren konnten.
Während dieser Zeit blieb Lady Atago sehr ruhig; sie ließ die Wogen des Lärms und des Geschreis anscheinend ungerührt über sich zusammenschlagen. Ihr Gesicht blieb ernst. Sie wartete.
»Und deshalb, meine Tahn-Genossen«, sagte sie dann, als sie die Zeit für gekommen hielt, »habe ich euch hier zusammengerufen, um zu feiern. Um zu feiern und euch selbst von neuem der Ehre zu verpflichten.
Es wird nicht leicht sein. Wir stehen einem starken Feind gegenüber. Ein Feind, der sich nicht eher zufrieden geben wird, bis der letzte von uns zermalmt ist. Wir haben gegen diesen Feind große Siege errungen, und wir haben schreckliche Verluste erlitten.
All das spielt keine Rolle. Ich heiße diesen Feind willkommen.
Das solltet ihr alle tun. Denn wir haben das Glück, in der Zeit unserer letzten und größten Prüfung zu leben.
Dieser Feind hat uns dazu gezwungen, uns mit unseren eigenen Schwächen auseinanderzusetzen. Und wenn es vorbei ist, werden wir stark sein, und rein und gut. Oder wir werden alle tot sein.
… gestorben für die Ehre!« Die letzten Worte sprach sie leise aus, wie ein Gebet. Die Menge war ganz still, als spürte sie, was jetzt kommen musste.
Lady Atago hob langsam die Hände zum klaren Tahn-Himmel empor. In Stens Kopf schlich sich der eigenartige Gedanke, dass Lady Atago den Ewigen Imperator nicht einmal beim Namen genannt hatte. Diese Taktik der Rede notierte er sich sofort in seinem kleinen geistigen Mantis-Buch für Propagandatricks.
»Ich gelobe euch folgendes, meine Tahn. Ich werde unserem Feind jedes Geschoß entgegenschleudern, das ihr mir baut. Ich werde ihn bis in die Randwelten verfolgen. Ich werde ihn aus seinem feigen Versteck auf Cavite verjagen. Und dann werde ich ihm überallhin folgen, egal, wohin er auch fliehen mag.
Ich gelobe euch zu kämpfen, meine Tahn. Ich gelobe euch Schlachten und ich gelobe euch den Sieg. Rasch und köstlich. Aber ich kann vielleicht nicht ganz euren hohen Erwartungen entsprechen. Es mag auch bei mir Schwächen geben, die mich das Ziel aus den Augen verlieren lassen.
Sollte ich euch am Ende enttäuschen … Sollte ich euch am Ende nicht den Sieg schenken können, den ihr verdient habt …«
Es folgte eine letzte, lange Pause.
»So gelobe ich euch wenigstens die Ehre!«
Sten nahm den Tumult um sich herum kaum wahr. Die Menge raste, doch das machte nichts. Denn er wurde gerade Zeuge eines überaus seltenen Phänomens: ein Anführer, der zu seinem Volk sprach – und dabei jedes einzelne Wort, das er sagte, selbst glaubte.
Seit Stens Aufbruch nach Koldyeze hatte der K’ton Klub seine Pforten einmal geschlossen, dann wieder geöffnet und wieder geschlossen. In wenigen Stunden würde er wieder geöffnet, und Alex, St. Clair und L’n saßen besorgt um einen Tisch im leeren Nachtclub und warteten.
Um ihre Angst zu überspielen, taten sie das, was Soldaten seit dem Augenblick taten, als Lebewesen entdeckten, dass man Steine aufheben und anderen auf den Schädel schlagen kann. Das heißt, sie haderten mit dem Schicksal und fragten sich, welche Dummheit sie als nächstes begehen mussten.
»Ich möchte mich ja nicht beschweren«, sagte St.
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