Feindgebiet
Vielleicht sollten wir ihnen ein paar Mantis-Tricks beibringen. Genau. Damit hätten sie vielleicht eine Chance.«
Sten schüttelte den Kopf. »Die Generalprobe ist so glatt verlaufen, wie man es sich wünschen kann«, sagte er. »Und was die Tricks angeht … Alles, was sie lernen können, macht sie höchstens zu selbstbewussten Amateuren. Unsinn! Da könnten wir sie ebenso gut einen nach dem anderen gleich hier umbringen und den Tahn diesen Spaß vorenthalten!«
»Trotzdem, mein Freund. Ich würde mich besser fühlen, wenn sie den einen oder anderen Trick draufhätten.«
»Glaub mir, Alex«, erwiderte Sten. »So sind sie wirklich besser dran. Es ist wie bei einem bestimmten Kampfstil, über den ich mal etwas gelesen habe. Vor einigen tausend Jahren stopften sie ihre Truppen in dieses große, schwerfällige Flugzeug. Sie verpassten jedem Soldaten an die fünfzig Kilo Gepäck, wickelten einen riesigen Seidenbeutel um ihn herum und warfen die Kerle dann in zwei oder drei Kilometern Höhe aus der Tür.«
Alex blickte Sten ungläubig an. »Die armen Kerle. Hatten wahrscheinlich Campbells als Offiziere. Diese abscheulichen Strauchdiebe! Schmeißen ihre Jungs aus der Tür, damit sie wie die Käfer unten aufklatschen!«
»Halt, halt … Das hatten sie damit eigentlich nicht vor. Diese Seidenbeutel waren eigentlich so konstruiert, dass sie sich öffneten, damit die daran hängenden Soldaten sanft zu Boden schwebten.
Wie auch immer, jedenfalls mussten diese Luftlandetruppen vorher für ihre Abspränge üben. Die Ausbildung gehörte in jener Zeit zu den härtesten überhaupt.«
»Kann ich mir gut vorstellen«, sagte Alex, noch immer etwas schockiert.
»Das Lustige daran ist«, fuhr Sten fort, »dass sie, als es wirklich darauf ankam, ihre Infanteristen meist sowieso einfach rekrutierten, ihnen den Beutel verpassten, und sie wie die anderen voll ausgebildeten Typen einfach hinauswarfen. Und weißt du was? Es machte bei der Verlustrate nicht den geringsten Unterschied. Von den ausgebildeten Truppen bissen ebenso viele ins Gras wie von den Frischlingen, die ohne Training einfach rausgeworfen wurden.«
»Kann ich nicht glauben«, sagte Alex.
Sten ließ den Blick über die nervösen Gestalten wandern, die sich am Tunnelende drängten, und dachte daran, welche schrecklichen Dinge sie dort draußen wohl erwarteten, sobald sie aus der Sicherheit von Koldyeze davonschlichen.
»Ich will es«, sagte er. »Übermorgen geht’s raus.«
Virunga ließ Sten während des Frühstücks wissen, dass er ihn sprechen wollte. Dringend. Sten schlenderte unauffällig über den wie immer frühmorgens sehr belebten Innenhof, schlängelte sich durch kleine Gartenparzellen und grüßte Gefangene, die Frühsport trieben. Er blieb hier und da auf einen Schwatz stehen, lachte im richtigen Moment und schüttelte bei ändern Gelegenheiten ungläubig den Kopf.
Es war ein ausgeklügeltes und permanent wechselndes Ritual, das er aufführen musste, damit einem eventuellen Tahn-Spitzel nicht auffiel, wie oft ein kleiner Feuerleitschütze den kommandierenden Offizier der Lagerinsassen besuchte.
Die ganze Zeit über versuchte Sten herauszufinden, welche Gründe Virunga wohl haben mochte. ›Hat der Krieg eine überraschende Wendung genommen? Hoffentlich schlechte Nachrichten für die Tahn‹, dachte er. Mit einigem Glück ließ ihn Virunga zu sich rufen, um ihm den Erfolg des bislang größten Projekts in Koldyeze zu melden. Vielleicht, aber nur vielleicht, war es ihnen endlich gelungen, das zu installieren, was Alex den »Goldenen Wurm« nannte.
Sie hatten unglaublich viel Zeit und Mühe darauf verwandt, Mittel und Wege zu finden, wie man eine kleine Bürokratin namens Fahstr bestechen konnte. Sie war eine Frau mittleren Alters und die Chefbuchhalterin, die für die Gehaltsschecks der Tahn verantwortlich war. Jeder Tahn fürchtete sie. Sogar Derzhin, der Lagerkommandant, ging ihr nach Möglichkeit aus dem Weg. Bei der kleinsten Beleidigung konnte ein Gehaltsscheck unauffindbar verloren gehen; es konnte eine kleine Ewigkeit dauern, bis er wieder auftauchte. Wenn sie besonders schlecht aufgelegt war, las sie die Codes falsch ein, woraufhin ihrem Opfer ein saftiger Steuernachzahlungsbescheid auf den Tisch flatterte, ob er nun steuerschuldig war oder nicht.
Das Problem lag darin, dass Fahstr anscheinend unbestechlich war. Sie mochten sich noch so sehr auf N’chlos und ihre anderen »zahmen« Aufseher verlassen, es ließ sich einfach kein
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