Feine Milde
wissen. Kann ich hier hinten rausgehen?«
Im Apfelbaum neben der Scheune hing das kleine Mädchen mit dem Kopf nach unten und schaukelte hin und her.
»Sprechen Sie sie nicht an«, sagte Timmer.
Heino Müller hatte für die Tatzeit ein Alibi. Er war übers Wochenende mit einem Freund zum Segeln in Friesland gewesen. Anders als Salzmann-Unkrig war er über ihre Fragen nicht entrüstet, eher belustigt.
»Die Frau war eine Nervensäge, aber das ist doch kein Grund, ihr so etwas anzutun«, sagte er. »Ich hatte sowieso keine persönlichen Probleme mit ihr. Unsere Meinungsverschiedenheiten bezogen sich nur auf den Verein. Und das hat sich ja nun Gott sei Dank geregelt.«
»So kann man es auch ausdrücken«, meinte Heinrichs.
Müller lachte. »Sie sehen eigentlich gar nicht aus wie ein Zyniker. Ich meinte natürlich, es ist alles geregelt, weil wir jetzt endlich einen Trägerverein haben und vernünftig arbeiten können.«
Ein paar Minuten später komplimentierte er sie, immer noch freundlich, aber doch entschieden hinaus. »Wenn Sie mein Alibi überprüfen wollen, gebe ich Ihnen gern die Adresse meines Freundes. Er hat Logbuch geführt.«
Herr Kleinmanns fuhr einen betagten blauen Mercedes Diesel, und in seiner Garage fand Toppe neben einem Schraubglas mit Aceton und einer Flasche Reinigungsbenzin auch eine fast leere Dose Nitroverdünnung.
»Ist ja alles da«, nickte er und sah den Mann eindringlich an.
Bisher war das Ehepaar friedlich gewesen, denn Toppe hatte ihnen gleich zu Anfang deutlich gemacht, was er davon hielt, wenn man ihn mit Lügen und Halbwahrheiten abspeiste, aber nun hatte sich Kleinmanns wieder berappelt. Er kam einen Schritt auf Toppe zu.
»Was soll das denn heißen?« rief er, dunkel vor Wut.
Jetzt kam auch seine Frau in die Garage geschossen. »Sie haben ja wohl einen Vogel! Wegen dem Quatsch sollen wir der das Haus anstecken? Da gibt es doch wohl ganz andere Leute! Ich meine, wenn es an die eigenen Kinder geht …«
»Was heißt das?«
»Nichts. Ich will nichts gesagt haben!«
Toppe ging an Kleinmanns vorbei und blieb dicht vor der Frau stehen. Sie war gut einen Kopf kleiner als er. »Ich möchte sofort wissen, was Sie damit gemeint haben.« Er war sehr laut.
Erschrocken plapperte sie los. »Es wird eben so was gemunkelt in der Nachbarschaft. Die Jansen soll den Ewald Timmer beim Jugendamt angeschwärzt haben, weil der seine Kinder immer so schlägt. Und ich meine, ich hätte da auch schon mal Leute vom Amt auf dem Hof gesehen.«
»Sie kennen also die Mitarbeiter des Jugendamtes.«
»Nein … aber die sahen so aus.«
»Wer hat Ihnen die Geschichte erzählt?«
»Frau Joosten. Letzte Woche erst.«
Sieh an, Frau Joosten, dachte Toppe, die sah gar nicht aus wie eine Klatschbase, aber da hatte er sich wohl vertippt. »Kann man von Ihrem Garten aus aufs Nachbargrundstück?«
»Nein«, antwortete Kleinmanns, »da ist die Hecke zwischen.«
»Das möchte ich mir selbst ansehen«, sagte Toppe, aber Kleinmanns hatte die Wahrheit gesagt. Die Buchenhecke umschloß sein ganzes Grundstück. Sie war dicht und so hoch, daß man eine Leiter brauchte, wenn man rübersteigen wollte.
Frau Joosten waren Toppes Fragen sehr unangenehm. Er gab sich keine Mühe, nett zu sein.
»Alexa hat mir das erzählt.«
»Und woher wußte Ihre Tochter davon?«
»Von Kassandra, nehme ich an.«
»Sie nehmen an?«
»Ja.« Sie errötete.
»Heiderose Jansen hat sich also ans Jugendamt gewendet, weil Timmer angeblich seine Kinder schlägt.«
»Nein!« rief sie. »Davon weiß ich nichts. Es ging um Hanna. Das Kind ist autistisch, und Frau Jansen fand wohl, daß sich die Eltern nicht genug darum kümmern.«
»Und sie hat das Jugendamt eingeschaltet?«
Sie zuckte verunsichert die Achseln. »Ich weiß nicht. Sie wollte es wohl.«
38
Toppe rief bei der Kreisverwaltung an und wurde dreimal zu Tode verbunden: zweimal ließen sie ihn so lange in der Warteschleife hängen, bis er die Computerfassung vom Schwanenseethema nicht mehr aushalten konnte und auflegte, und einmal war nach »ja, ich verbinde« die Leitung schlicht tot. Dann endlich hatte er Glück, mehr oder weniger, und landete beim Leiter des Jugendamtes. »Aha, aha, aha«, hörte er sich Toppes Ausführungen an. »Für diese Dinge ist unsere Frau Derksen zuständig.« Aber die war heute im Außendienst und erst morgen früh wieder zu erreichen. »Frau Derksen? Ich dachte, die ist für Adoptionen zuständig.« – »Das auch, ja. Wir sind hier sehr
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