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Feldblumen

Feldblumen

Titel: Feldblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Jahre sehen und was ihr Vater und Großvater auch sechzig Jahre gesehen haben, das ist ihnen das Natürliche, wie verkehrt es auch sein mag, - und wer sich dagegen auflehnt und ein Neues bringt, der ist ein Fremdling unter ihnen, ein Aufrührer gegen die Natur.
    Ich will Dir noch Einiges von ihr erzählen; höre mir gütig zu, mein Titus.
    Erstens weiß sie Latein und Griechisch - das Französische und Englische wird ihr nicht übel genommen. Zweitens weiß sie so viel Mathematik, als zum Verständniß einer allgemeinen Naturlehre nöthig ist; ja, sie weiß noch mehr, weil sie die Sternkunde verstehen wollte und nun wirklich versteht. Drittens, daß sie Bücher über Seelenkunde und Naturrecht studirte, ward für lächerlich erklärt, sie aber meinte, sonst die Weltgeschichte nicht verstehen zu können. Selbst in philosophische Systeme steckte sie den Kopf - nur gegen Physiologie wehrte sie sich hartnäckig; sie fürchtete Zerstörung der schönen innern Welt. - O, die ist ja gelehrt, ein Ausbund, sagen viele ihrer Mitschwestern, aber ich glaube, es ist bei Vielen Neid, bei Vielen Beschränktheit - die Männer sagen, das müsse fade sein - und dennoch schrumpft der, der es sagte, in ihrer Gegenwart jämmerlich ein, wenn auch nur Alltägliches gesprochen wird. Ich bewundere ihren Lehrer, wie ich Dir schon mehrfach sagte, der mir bis längstens im August versprochen wird; denn er war es, welcher ihren schönen Geist in die ernsten Hallen der Wissenschaft führte und ihr die Bilder dieses Isistempels deutete. Darum ist ihr die Wissenschaft Schmuck des Herzens geworden, und das ist die größte und schönste Macht derselben, daß sie den Menschen mit einer heiligenden Hand berührt und ihn als Einen des hohen Adels der Menschheit aus ihrer Schule läßt - freilich, bei Andern bleibt es dürr liegen, wie die glänzenden Dinge, die ein Rabe in sein Nest trägt und auf denen er dann blödsinnig sitzt.
    Die Sprachen lernte sie in der Kindheit - die Wissenschaften von ihrem zwölften bis in das zwei und zwanzigste Jahr (so alt ist sie jetzt) und von da noch immer fort; - was Dichtung ist, trieb und treibt sie ihr ganzes Leben. Du wirst wohl nicht fragen, wo sie die Zeit hernimmt, da Du es selber warst, der mir Verschwender zuerst dieses kostbare Gut zeigte, wie zum Erstaunen ergiebig es sei, wenn man es richtig eintheilt und kein Theilchen desselben thöricht wegwirft. Doch wirst Du begreifen, wie viel Zeit sie hatte, wenn ich Dir aus Luciens Munde berichte, daß sie eine Menge nicht kann und nicht lernte, was nicht zu können jedes Mädchen Wiens für eine Schande halten würde. Zum Beispiel: Stricken. Es war mir ein Jubel, als ich das hörte. O dieser ewige Strickstrumpf, an dem unsere Jungfrauen nagen - es gibt nichts Oederes und Geistloseres als das unendliche Fortbohren und das Zuschauen eines unglücklichen Mannes. Wohl wird es zuletzt zur Gewohnheit, und sie können so schön und frei denken, ob sie stricken oder nicht - aber es ist nicht wahr; denn welche kostbare Zeit verlernten sie an dem Ding, und verlernten dabei das schöne, freie Denken mit, welches Denken übrigens bei jeder fortgesetzten einförmigen Körperbewegung immer etwas von dem Wesen dieser Bewegung annimmt. Ersparniß ist es in den meisten Familien auch nicht; denn sonst müßten sie sich folgerechter Weise auch die Schuhe machen und noch andere theurere Sachen - aber wo Ersparung Noth that, hätten die Töchter etwas Besseres lernen können, um sich damit Strümpfe genug und all die theuern Sachen obendrein zu verdienen. Bei ihrer sehr einfachen Art, sich zu kleiden, erspart Angela mehr, als sie für Strümpfe wird ausgeben müssen. Es ist Unglück genug, daß bei dem Unsinne des Verschwendens, der sich der Welt bemächtigte, ohnehin ein so großer Theil der Menschen verdammt ist zur lebenslangen Arbeit des Körpers, daß er kaum Zeit hat, zum Himmel zu schauen, wie er so schön blau ist. Dazu hat uns Gott nicht gemacht, und Jahrtausende werden vergehen, bis wir natürlicher, d. h. geistig reicher und körperlich einfacher werden.
    Ferner das Sticken, von dem ihr Lehrer sagte, es sei die sündenvollste Zeitverschwendung; denn das endlich fertige Ding sei kein Kunstwerk; ist es schön, so ist das Vorbild schuld, nicht die Nachmacherin; meist aber bleibt es hinter dem mittelmäßigsten Gemälde zurück, und kann solches auch seiner Verfertigung zufolge nicht erreichen, kostet aber so viel Zeit und Mühe, daß man mit derselben ein wahrer Künstler in

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