Rolf Torring 076 - Der Dämon von Puri
1. Kapitel
In Dschagannath
„Das scheint ziemlich unangenehm zu werden," meinte Rolf, „wir hätten lieber noch einen Tag mit dem Besuch der Stadt warten sollen. Wenn es auch sehr interessant ist, scheint es für uns als Fremde auch gefährlich zu sein."
Ich mußte ihm recht geben. Das Gedränge der Pilger, die von weither zusammenströmten, um „Dschagannath", wie die Hindu die Hafenstadt „Puri" nennen, aufzusuchen, war außerordentlich groß. Einmal im Jahr findet in Dschagannath das berühmte „Wagenfest" statt, auf das ich später noch zurückkommen werde.
Erfahrene Statistiker haben mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung herausgefunden, daß sich an den Hauptfesttagen mindestens dreihunderttausend Pilger in der Stadt einstellen. Auch diesmal herrschte ein Gedränge und Geschiebe, das an sich schon lebensgefährlich war. Man konnte es mit der Angst bekommen, wenn man die durch die Straßen ziehenden, schiebenden und geschobenen Massen sah.
Dazu kam, daß verschiedene Pilger, meist hohe Gestalten mit stolzen, finsteren Mienen, uns mit merkwürdigen Blicken musterten. Mehrmals hörten wir böse Worte, die auf uns gemünzt waren. Ein paarmal erhoben sich sogar Fäuste drohend gegen uns.
Sollte in diesem Jahre eine besonders ungünstige Stimmung Ausländern gegenüber herrschen? Oder waren nur wir der Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit und besonderen Unwillens?
„Ich hätte lieber einen einfachen Ledergurt umschnallen sollen," sagte Rolf leise zu mir. „Ich glaube, wer mich böse oder sogar haßerfüllt anblickt, tut es, weil ich den silbernen Gürtel Magavas trage (siehe Band 74: „Der Zaubergürtel"). Eben wieder streifte mich ein Inder mit wütendem Blick, als er meinen Gürtel sah."
Daran hatte ich im Augenblick nicht gedacht. Nur der alte Gürtel, den Rolf unter eigenartigen Umständen von dem alten Priester im Urwald geschenkt erhalten hatte, konnte Schuld daran tragen, daß wir eine uns gar nicht angenehme Aufmerksamkeit bei einem Teil der Inder erregten.
Wieder kam uns ein Trupp fremder Pilger entgegen, hohe Gestalten mit heller Hautfarbe, deren Gesichter einen stolzen Ausdruck zeigten. Es waren Pilger aus dem Norden, von den Ländern am Himalaya, die stets die ersten waren, wenn es galt, sich gegen fremdes Joch zu erheben.
Ihnen mußte der Zaubergürtel, den Magava, der Priester des Friedens, getragen hatte, ein Zeichen sein, daß wir gegen gewalttätige Freiheitsbewegungen seien.
Die hohen Gestalten wurden von der nachdrängenden Menge auf uns zugeschoben. An ein Ausweichen war nicht zu denken. Der den anderen vorausschreitende Inder sah den Gürtel. Sein Gesicht verzerrte sich. Er rief seinen Gefährten ein paar Worte zu und tastete unter sein langes, weites Gewand. Seine Gefährten taten das gleiche.
Ein blutiger Zusammenstoß schien unvermeidlich, denn die fanatischen Inder zogen bestimmt die Dolche, um uns zu verwunden oder gar zu töten.
Gerade wurde ein Wagen mit dem Bild Balamaras vorbeigezogen. Deshalb geriet der Pilgerzug ins Stocken. Wir konnten nicht von der Stelle, denn wir waren eingekeilt. Rein zufällig befand sich zwischen uns und den Indern aus dem Norden ein kleiner freier Platz.
Den Grund bemerkte ich bald. Links von uns stand ein kleines, altes Haus, das sich an die sechs Meter hohe Mauer anschmiegte, hinter der das größte Heiligtum Dschagannaths liegt.
Ein besonders starker Glaube gehörte dazu, daß sich niemand vor dem Eingang des kleinen Gebäudes aufzuhalten wagte. Vielleicht war es ein uns bis jetzt noch unbekanntes Heiligtum. Es mußte uns sonderbar berühren, daß trotz der Enge, die durch den Pilgerzustrom in den Straßen herrschte, gerade dieser Platz frei blieb.
Für uns war das angenehm. Andernfalls wären wir mit der Gruppe der Pilger aus dem Norden bereits zusammengestoßen. Auf jeden Fall legten wir die Rechte auf den Kolben der Pistole, fest entschlossen, uns bis zum letzten zu wehren.
Ich bedauerte im stillen, daß Pongo und Maha nicht bei uns waren. Vielleicht wäre die Situation dann nicht aussichtslos für uns gewesen.
Wir wußten, daß sofort, wenn das Bild des Gottes vorbeigezogen war, die Pilger weiter strömen würden. Dann mußte der Zusammenprall mit den Indern erfolgen.
Sie flüsterten eifrig miteinander, sie hatten wohl gemerkt, daß wir unsere Waffen ergriffen hatten. Der Anführer warf ihnen
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