Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
sich zusammen. Er stieg ein und setzte sich ans Ruder, während Felicity die Segel aufzog.
Sie fuhren zurück. Die sanfte Brise tat ihnen gut. Felicity genoss das leise Platschen der Meereswellen, die gegen den Rumpf des Boots schlugen. Schließlich erreichten sie die Bucht, die ihrem Großvater Rafe gehörte. Wie schützende Mauern ragten die Klippen über den Bäumen auf.
»Nicht schlecht«, murmelte Henry.
Felicity lächelte ein bisschen verlegen. Es war ein großartiger Anblick, aber irgendwie wurde ihr fast unheimlich zumute, wenn sie daran dachte, wie reich ihr Großvater war.
Sie stieg über die Bordwand ins seichte, klare Wasser. Es fühlte sich seidig kühl an, der Sand unter ihren Sohlen war wunderbar weich. Sie drehte sich zu Henry um. »Also dann. Wir sehen uns morgen in der Schule.«
»Klar.« Er grinste. »Mich wirst du so schnell nicht los.«
Als sie den Wald am Fuß der Klippen erreichte, schaute Felicity noch einmal zurück und winkte, aber das Boot war schon weit draußen in der Bucht.
Sie stand einen Moment lang still. Der Wald war feucht, die Luft frisch und würzig. Die Felsen schluckten alle hallenden Geräusche. Felicity legte die Hand auf die alte Steinmauer, die zwischen den Bäumen verlief. Sie wirkte mit ihren geraden Kanten wie ein Fremdkörper mitten unter all den fließenden Linien der Blätter und Zweige. Auch der Wald schien dieser Meinung zu sein und hatte eine samtige Decke aus Moos und Flechten darübergelegt.
Sie ging weiter auf dem Pfad, der sich unter tief hängenden Zweigen dahinschlängelte und dann steil anstieg. Immer wieder blieb sie kurz stehen und sah durch Lücken in den Baumwipfeln hinaus auf die See, wo sich grüne Wellen kräuselten, bis sie sich am fernen Horizont in einer Linie aus weißem Dunst mit dem Himmel trafen.
Es war wunderschön friedlich und still hier. Schließlich erreichte sie die Stelle, wo ein tiefer Riss durch die Felsen lief. Nun lag nur noch ein gutes Dutzend Stufen vor ihr. Kalt und dunkel ragte die Klippe über ihr auf. Sogar an so einem heißen Sommertag wie heute wirkte sie bedrohlich. Einen Moment lang hatte Felicity das unheimliche Gefühl, die Felsen rückten näher, wollten sie umschließen und für immer gefangen halten.
Sie dachte daran, wie sie zum ersten Mal mit Jeb Tempest hier gewesen war. Damals hatte die Großmutter, die sich in ihrem Haus einquartiert hatte, ihr das Leben zur Hölle gemacht. Sie war ihm so dankbar gewesen für seine Freundschaft. Und es hatte ihr ein Vergnügen bereitet, zu sehen, wie sehr viele ihrer Schulkameradinnen sie darum beneideten.
Sie musste an seine blitzenden grünen Augen denken, aber sie wischte die Erinnerung beiseite. Jeb war weit weg; er reiste durch die Welt und suchte nach Abenteuern. Nicht dass sie ihm das vorwerfen würde. Sie hätte es am liebsten genauso gemacht wie er.
Oben auf den Klippen hielt Felicity inne, um Atem zu schöpfen. Sie blickte über die Rasenflächen des Gartens, der das Haus ihres Großvaters umgab. Sie konnte es noch immer kaum glauben, dass das alles ihm gehörte.
Wellow Manor thronte über der Stadt. Der alte Herrensitz war nicht allzu prächtig und nicht einmal übermäßig groß, aber er war doch ein weithin sichtbares Wahrzeichen der Gegend. Wie die meisten Häuser der wohlhabenden Bürger von Wellow war er ganz aus Naturstein gebaut, sogar die Fensterstöcke und die Dachplatten bestanden daraus. Er hatte alte Fenster mit Bleistegen, die Rautenmuster bildeten.
Felicity entdeckte in einiger Entfernung ihre Familie, die im Freien das schöne Wetter genoss. Ihre Mutter Anne hatte Felicitys kleine Schwester Olivia auf dem Schoß. Poppy, ihre andere Schwester, saß am Gartentisch, trank Holundersaft und plauderte angeregt mit ihrem Großvater und ihrem Vater. Felicity lächelte. Egal, wo Poppy hinkam, war sie der lebhafte Mittelpunkt der Gesellschaft.
Felicity ging über den Rasen auf die Gruppe zu. Ihr Großvater stand auf und begrüßte sie mit einem Lächeln. Wie gewöhnlich überkam sie ein Gefühl leichter Verwunderung beim Anblick dieses Mannes, der für sie immer noch mehr eine Gestalt aus historischen Büchern als ein naher Verwandter war.
Unverkennbar war er früher spektakulär schön gewesen und auch im Alter sah er noch gut aus. Aber es waren vor allem seine Augen, die den Betrachter anzogen: Ihr Kornblumenblau war so intensiv, dass man meinen konnte, sie würden von innen beleuchtet. Sein Blick hatte etwas Hypnotisierendes. Felicity konnte gut
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