Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
Stundenpläne in der Hand, irrten auf den unfreundlich kahlen Fluren umher, ganz verwirrt von dem hallenden Lärm um sie herum. Man sah ihnen an, dass sie sich fragten, ob sie wohl eines Tages auch so selbstsicher und zielbewusst zu ihren Klassenzimmern schreiten würden wie all die älteren Schüler.
Felicity beobachtete ein kleines Mädchen, das sich durchs Gedränge kämpfte. Ängstlich drückte sie ihre übergroße Schultasche an ihre Brust.
»Kannst du dich noch an deinen ersten Schultag erinnern?«, fragte Poppy.
Felicity lächelte. Sie war vollkommen verschüchtert gewesen damals, hatte sich einsam und fehl am Platz gefühlt, und daran hatte sich mehrere Jahre lang nur wenig geändert.
Die beiden Schwestern standen nebeneinander in ihren nagelneuen Schuluniformen. Felicity fand sie weniger schlimm als sonst: Der Rock sah eigentlich gar nicht so übel aus.
»Es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her, dass du dich mit Henry angefreundet hast, nicht?«, fragte Poppy.
Felicity erinnerte sich noch gut daran. Er war ihr zu Hilfe gekommen, als George und Oscar Blake sie gepiesackt hatten. Henry war der jüngste von sieben Brüdern und ließ sich nicht so leicht einschüchtern.
»Du hast Glück, dass du ihn gefunden hast«, sagte Poppy. »Ich bin richtig neidisch.« Von der anderen Seite des Schulhofs winkte ihr jemand zu. »Also dann, bis später.« Sie gab Felicity einen Kuss und lief davon.
»Felicity«, rief eine vertraute Stimme.
Felicity drehte sich um. »Martha!«
Sie umarmten einander. Sie hatten sich seit Beginn der Sommerferien nicht mehr gesehen, denn Martha war die ganze Zeit weg gewesen. Ihre Eltern hatten im Zusammenhang mit einem ihrer wissenschaftlichen Projekte eine Reise unternommen und Martha musste sie begleiten.
»Ich hab dich vermisst«, sagte Martha lächelnd. Ihr rundes Gesicht war mit Sommersprossen übersät und deutlich weniger blass als gewöhnlich. Aber der dunkle Bubikopf und die Goldrandbrille waren unverändert geblieben.
»Du bist gewachsen«, bemerkte Felicity.
»Komisch – genau dasselbe hab ich gedacht, als ich dich gesehen habe. Du hast dich gestreckt.« Martha kicherte.
»Wie war’s in den Ferien?«, fragte Felicity.
»Ganz okay.« Martha strich eine Strähne nach hinten. »Meine Eltern waren meistens so in ihre Arbeit vertieft, dass sie gar nicht daran dachten, miteinander zu streiten.«
»Du bist braun geworden«, sagte Felicity.
Martha verzog das Gesicht. »Klar, wir waren bei so einer archäologischen Ausgrabung.«
»Wow«, sagte Felicity schwer beeindruckt.
»Na ja, eigentlich ist das ziemlich langweilig, aber wenigstens kommt man an die frische Luft, statt immer nur rumzusitzen und Bücher zu lesen.«
»In einer Bibliothek zum Beispiel«, sagte Felicity. Im letzten Schuljahr hatten sie gemeinsam viele Stunden in der Stadtbücherei von Wellow verbracht, um etwas über die
Herrin
herauszufinden.
»Stimmt. Allerdings hat die Sache dann doch einen besonderen Reiz, wenn man dabei ständig in Lebensgefahr ist. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich Wellow vermisst habe.«
»Das waren tolle Ferien«, sagte Felicity.
»Das kann ich mir vorstellen.« Martha seufzte neidisch. »Du siehst so aus, als hättest du die ganze Zeit auf dem Wasser verbracht.« Sie schnippte etwas Sand von Felicitys Pullover.
»So ziemlich.«
»Da seid ihr ja.« Hinter den beiden Mädchen tauchte Henry auf. Martha strahlte ihn an und umarmte ihn zur Begrüßung.
»Nicht so stürmisch.« Henry grinste breit. »Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch weit und breit, der sich darüber freut, dass die Schule wieder anfängt.«
»Nach solchen Ferien kann es ja nur besser werden. Meine Eltern haben mich in ein gottverlassenes Nest am Ende der Welt geschleppt, wo absolut nichts los war«, sagte Martha.
»Wir
wohnen
in einem gottverlassenen Nest am Ende der Welt«, konterte Henry.
»Na ja, nach allem, was wir hier schon erlebt haben, wirst du wohl kaum behaupten, dass in Wellow nie was passiert«, meinte Martha.
Henry lachte. »Das stimmt auch wieder. Aber diesen Sommer war es wirklich total ruhig und friedlich.«
»Es war wunderschön«, sagte Felicity.
»Mann, das darf doch nicht wahr sein!«, rief Henry. »Schaut mal, da: Das ist Miranda Blake, oder nicht?«
Felicity und Martha fuhren herum. Ihre Mienen verfinsterten sich. Tatsächlich, das war Miranda, sie hatte die Schuluniform der Priory Bay an. Es sah nicht so aus, als wäre sie in den Ferien gewachsen, vielmehr wirkte sie
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