Felidae
stolz.
»Ähm, hast du das alles verbockt? Ich meine, all diese Gerippe. Hast du sie getötet und dann hierherbefördert?«
Seine Augen hielten mit dem Rollen abrupt inne, und er funkelte mich fanatisch an.
»O nein, Fremder, die Toten kommen zu mir. Sie werden vom Propheten gesandt.«
Langsam entkrampfte ich mich, und die Furcht wich von mir. Ja, genau betrachtet sah der Kerl wirklich nicht wie ein Mörder aus, sondern eher wie ein ganz normaler Spinner. Vielleicht gebrauchte ihn jemand als einen nützlichen Idioten, wie ein Werkzeug. Ich mu ß te unbedingt erfahren, ob Jesaja diesen geheimnisvollen Jemand kannte und wie die verrückte Geschichte überhaupt angefangen hatte.
»Du brauchst dich vor mir nicht zu fürchten, Jesaja. Ich heiße Francis und möchte nur einige Dinge von dir erfahren. Es wäre nett, wenn du dich dabei ein wenig konzentrieren würdest. Erste Frage: Wo kommst du her und wie um alles in der Welt bis du an diesen fürchterlichen Ort geraten?«
Die letzte Bemerkung schien ihn gekränkt zu haben, und er verzog sein Gesicht zu einer beleidigten Miene. Trotzdem war er auskunftswillig.
»Der Totenwächter bewohnt den Tempel seit Ewigkeiten, er ist ein Kind der Finsternis. Denn wenn er das Licht erblickt, wird er geblendet und mu ß das Reich der Lebenden verlassen. Doch einst war da auch das Traumland, wo der Totenwächter geboren. Von Zorn und Pein wurde es regiert, und kein Lachen gab es dort. Im Traumland wirkte aber auch der Prophet, der uns schließlich das Heil brachte. Denn er sprach: Gott, der du stärker bist als alle, höre die Stimme der Verzweifelten und rette uns aus der Gewalt der Übeltäter! Befreie uns von unserer Angst! Erhebe dich, Jahwe! Schaffe uns Heil, du mein Gott! ... «
»Wie bist du dem Traumland entronnen, Jesaja?«
»Gott erhörte das Flehen des Propheten, zerschmetterte die Backen all seiner Feinde und zerbrach die Zähne der Frevler. Und als dann der helle Tag explodierte, explodierte auch das Traumland, und die Gepeinigten strömten auseinander, flohen kopflos in alle Himmelsrichtungen.«
»Was geschah mit dem Propheten?«
»Er fuhr in den Himmel.«
»Hast du das gesehen?«
»Nein. Niemand hat das Mirakel erblickt. Die, die den Herrn kannten, sind im Traumland gestorben. Alles, was uns, den Kindern der Seligen, blieb, sind wirre Visionen.«
»Was hast du getan, nachdem der helle Tag explodierte?«
»Ich wanderte wie trunken über das Land, und viele Schmerzen plagten meinen Leib. Tage und Nächte gingen ineinander über, und schließlich verschmolzen sie miteinander. Dann, als Hunger und Durst mich erlahmen und meine Sinne schwinden ließen und ich auf dem Scheideweg zwischen Diesseits und Jenseits stand, traf ich auf Vater Joker.«
»Joker?«
»Gewi ß , der gütige, allerliebste Vater Joker. Er nannte diesen Tempel schon seit Urzeiten sein Zuhause, und er trug mich hierher und beköstigte mich mit allerlei feiner Speis' und Trank. In den folgenden Jahren lehrte er mich das Jagen und wie man in der Unterwelt an Frischwasser herankommt. Des weiteren brachte er mir das Lesen bei, so da ß ich die heiligen Schriften zu studieren vermochte und letztlich selber ein tapferer Gottesmann wurde. Dann jedoch kam die Zeit, wo Vater Joker voll Trauer sagte, da ß er mich nun verlassen müsse, um das Wort des Propheten zu verkünden und zu verbreiten. Jeder solle das Wirken des Auferstandenen kennen und darob für immerdar fromm leben, sprach er. So zog er von dannen, und ich blieb im Tempel allein zurück.«
»Das ist ja sehr aufschlu ß reich, Jesaja. Könntest du mir vielleicht auch verraten, wie der allerliebste Vater Joker diese hübsche Knochenkollektion gerechtfertigt hat?«
»O nein, nein. Als Vater Joker und ich zusammen hausten, weilten die Toten noch nicht unter uns. Der Tempel war ein Ort der Besinnung und der Anbetung Jahwes. Eines Tages aber, viele Ewigkeiten, nachdem Vater Joker gegangen war, vernahm ich ein Poltern in einem der verschlungenen Kanäle, welche die Nachtwelt mit der Tagwelt verbinden. Ich lief geschwind dorthin und traf gerade noch rechtzeitig vor dem Ausgangsloch ein, um zu sehen, wie eine tote Schwester daraus geflogen kam. ›O mein Gott, was hat das zu bedeuten, beim rabenschwarzen Fell des Propheten?!‹ schrie ich und wu ß te nicht, wie mir geschah. Und dann tobte ich wie von Sinnen um die entschwundene Schwester und rief Jahwe um Hilfe und Beistand an. Sollte etwa der Höllenfürst leibhaftig mir einen Streich gespielt
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