Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
Wagnerorgien, welche wir mit seinem alten Dual-Plattenspieler feierten, wenn wir an fröstelnden Winterabenden vor dem Kamin saßen. Genaugenommen war es also eine Kombination aus intellektuellem Gleichklang und Gewohnheit, was uns verband. Beide verehrten wir die geistigen Wunder, die die Zivilisation hervorgebracht hatte, und beide verabscheuten wir alles Häßliche, das vor unserer Tür von Teufeln in mannigfaltiger Gestalt täglich neu geschaffen wurde. Natürlich heißt Gewohnheit auch Stillstand. Doch wer von uns möchte ernsthaft bestreiten, daß der Hang zur Spießigkeit wie ein hartnäckiger Virus nach der Jugend jede einzelne Zelle unseres Wesens befällt.
War da noch etwas, das das Zusammenleben mit diesem Oliver Hardy des Bildungsbürgertums rechtfertigte? Vielleicht Liebe? Tja, schwierig, darauf eine klare Antwort zu geben. Es gibt diese geistreichen Sinnsprüche, die mit »Liebe ist ...« anfangen, dann den vermeintlichen Beweis in der Art von Phrasen wie » ... wenn man trotzdem lacht!« liefern und gleich darunter mit der Karikatur eines händchenhaltenden Nacktpärchens in zum Erbrechen niedlicher Pose aufwarten. Doch ich glaube kaum, daß man dem Phänomen der Liebe so beikommen kann. Sie scheint ein steter Lavastrom unter der Erdkruste zu sein, dessen wir nicht gewahr werden können, bis er plötzlich aus längst totgeglaubten Vulkanen eruptiert und uns mit seiner unvorstellbaren Macht überrascht. Doch ich schweife in Metaphern ab, von denen ich nicht einmal weiß, ob sie die problematische Beziehung zwischen mir und meinem »Herrchen« Gustav verdeutlichen können. Jedenfalls sind sentimentale Analysen in Sachen Liebe über ein so altes, wohl auch verbrauchtes Paar, wie wir es waren, an diesem Abschnitt der Geschichte noch kein Thema.
In der Liebe kommt es meist anders, als gedacht. Wie fast immer im Leben. Und hätte ich an diesem denkwürdigen Nachmittag gewußt, wie mein Leben sich in den nächsten Sekunden ändern würde, hätte ich mich wahrscheinlich kaum in kritischen Anschauungen über Gustav ergangen, sondern in purer Nostalgie. O ja, ich sollte meinen einfältigen Gustav noch vermissen. Mehr noch, ich sollte ihn noch derart lieben lernen, daß ich ohne Umschweife einen Zehnjahresvertrag als sein Schmuseopfer unterzeichnet hätte. Denn das einzige, was ein mit Vernunft begabtes Lebewesen zur Besinnung bringt, ist der Verlust seiner im Laufe der Zeit erwirtschafteten Annehmlichkeiten. Kurzum, mir ging's einfach noch zu gut.
Bevor ich auf die radikale Wende zu sprechen komme, sei mir ein letzter Hinweis zu den unmerklichen Veränderungen in dem oben beschriebenen Paradies gestattet. Bei aller satten Zufriedenheit spürte ein so sensitiver Geist wie der meinige sehr wohl, daß sich das Klima in der Stadt seit geraumer Zeit gewandelt hatte. Immer öfter hatte ich von Wohnungseinbrüchen in unserem Viertel gehört oder von sinnlosen Gewaltexzessen, die sich auch mal in der Villa des hochangesehenen Zahnarztes aus der Nachbarschaft ereignen konnten. Schäbig gekleidete Gestalten in angesoffenem Zustand und mit Plastiktüten in den Händen streiften um unsere Festungen des Wohlbehagens, klopften an unsere originalgetreu rekonstruierten Nußbaumtüren und bettelten. Und wer weiß, was sie mit meinesgleichen anstellten, wenn sie uns zwischen die Klauen bekamen, da stark davon auszugehen war, daß ihre einzige Lektüre aus Ratgeberbüchern bestand mit so verlockenden Titeln wie »Kleines Einmaleins des Haustierkochens.«
Eine andere Zumutung kam aus dem Reich des Nichtorganischen. Es stimmt nicht, daß Kaninchen die fruchtbarsten Geschöpfe dieser Welt sind. Schon längst haben ihnen Monster aus Stahl und Kunststoff in puncto Vermehrung den Rang abgelaufen. Kaum war es mehr möglich, wie in alten Zeiten gemütliche Runden durch das Revier zu drehen, hier ein nettes Kämpfchen mit dem Großmaul von Gegenüber auszutragen oder dort für eine alte, moosbewachsene Mauer mittels ein paar umweltfreundlicher Spritzer aktive Denkmalpflege zu leisten, ohne permanent Gefahr zu laufen, jäh zur aktuellen Kühlerfigur eines Autos auserkoren zu werden, allerdings nicht am Kühler, sondern weiter unten.
Dieser Rückgang der Lebensqualität war offenbar nicht nur mir, sondern auch denen, die ihn verursacht hatten, aufgefallen, so daß das verheißungsvolle Wort »Country« immer eindringlicher die Runde machte. Der City entfliehen hieß die Devise, wobei man sich gern von Fernsehspots für Cornflakes
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