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Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Titel: Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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...
    »Hin und her - Schau genau hin, Francis! - Hin und her - Laß dich nicht ablenken, Francis! - Hin und her - spürst du, wie du immer schwerer und ruhiger wirst, Francis? - Hin und her ...«
    Meine Augenlider fühlten sich tatsächlich sehr schwer an, als lasteten Ambosse auf ihnen. Ich schlug sie halb herunter, obwohl ich den Blick von dem pendelnden Schwanz nicht abzuwenden vermochte. Die Bewegung war einfach zu verlockend. Wie das Winken eines guten Freundes, wie Halme im Wind vor einem hinreißenden Sonnenuntergang. Trotzdem meldete der letzte wache Teil meines Verstandes Kritik an diesem überwältigenden Gleichklang an, wenn auch sehr leise.
    »Was meinst du damit, du Teufel?« flüsterte ich beinahe.
    »I-I-Ich meine damit - hin und her - es ist vielleicht ga-ga-gar nicht vorgesehen - hin und her - daß du dein Zuhause wiederfindest, Francis - hin und her ...«
    Ach ja? Wie traurig. Vielleicht war es auch gar nicht vorgesehen, daß ich diesem Schwätzer noch länger zuhörte. Vielleicht war es besser, sich einfach hinzulegen, die Augen zu schließen und nur mehr von der so phänomenal harmonischen Bewegung dieses Schwanzes zu träumen. Warum eigentlich nicht? Hin und her, hin und her, hin und her ...
    ... Ein Lichtblitz durchzuckte mein Gesichtsfeld. Die Helligkeit wich nur ganz zaghaft und gab schließlich den Blick auf das Antlitz eines besonders prächtig geratenen Artgenossen frei. Offensichtlich handelte es sich bei meinem gegenwärtigen Zustand um einen Traum, denn das Bild schwankte so seltsam, als würde ich das Gesehene von einem dümpelnden Kahn aus wahrnehmen. Mein Gegenüber hatte eine äußerst wundersame Fellfarbe. Man konnte tatsächlich kaum unterscheiden, welcher der uns eigenen Farbtöne der dominierende war. Denn sie verschleierten den ganzen Kopf in chaotischen Wellen und wurden doch so launenhaft von Flecken und blitzförmigen Ornamenten durchbrochen, daß man Mühe hatte, eine konkrete Musterung auszumachen. Zum Beispiel erstreckte sich über die rechte Nasenhälfte bis zum Stirnansatz ein strahlend weißer Pfeil, aber diese lichte Stelle wurde wiederum von der Nasenwurzel aufwärts von tintenklecksartigen Verunreinigungen getrübt. Auf der anderen Nasenhälfte das gleiche Bild, nur im Negativ. Ob brutale Pinselstriche eines Neuen Wilden oder zarte Pastellschwärmereien eines Romantikers, es schien, als seien auf diesem Antlitz sämtliche Maltechniken zur Anwendung gekommen. Und vollendet war auch die Form des Hauptes. Es besaß die spitzesten Ohren, aus denen graue Haarbüschel hervorwuchsen, das scharfkantigste Maul (rechte Schnurrhaare schwarz, linke weiß) und eine extrem hohe Stirn; kurz, der Kerl war ein Adonis des Europäisch-Kurzhaar-Geblüts.
    Er hielt die Augen geschlossen, doch schienen die Lider keineswegs wegen Müdigkeit heruntergeklappt, sondern wie unter Schmerzen zusammengekniffen. Es war herzzerreißend mitanzusehen, wie ein so stolzer Bursche litt. Aber das war erst der Anfang des Gefühlsfegefeuers, das ich noch durchlaufen sollte. Denn gerade hatte ich mich an die außergewöhnliche Situation gewöhnt, da veränderte sich meine Position aufs neue. Ich weiß nicht wie, aber mit einem Mal schien ich mich von meinem leidenden Bruder zu entfernen. Wie eine rückwärtsfahrende, von Geisterhand gezogene und dabei beständig taumelnde Kamera bewegte ich mich ganz langsam nach hinten, und durch den immer größer werdenden Ausschnitt wurde allmählich seine gesamte Gestalt erkennbar. Nun plötzlich sah ich, daß aus seinem Maul ein fadendünnes Blutrinnsal floß und in die scharf gefurchte Erde, auf der er rücklings lag, versickerte. Das förderte eine neue Erkenntnis zu Tage: Ich hatte Prinz Wunderschön vorhin nicht gegenübergestanden, sondern die ganze Zeit quasi wie eine Feder über ihm geschwebt und tat es immer noch.
    Mein Blickwinkel erweiterte sich zusehends und zeigte mehr, als mir lieb war. Der Beobachtete hatte eine furchtbar gekrümmte Haltung eingenommen, und alle vier Glieder waren grotesk wie nach einem verheerenden Zusammenprall in entgegengesetzte Richtungen verdreht. Sein Leib, der durch die spektakulär getigerte Fellzeichnung im Mondschein silbrig schimmerte, wies am Bauch eine große, klaffende Wunde auf, als sei er das Opfer eines gefräßigen Mähdreschers geworden. Der Vergleich war gar nicht so weit hergeholt, denn ich sah nun, daß er mitten auf einem kahlen Acker lag. Das Blut aus der Verletzung hatte um ihn herum eine kleine Lache gebildet,

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