Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
verheißungsvollen, nichtsdestotrotz vollends unberührten Welt zu stammen schien. Da war etwas Mystisches, Wildes in dieser Stimme und etwas sehr, sehr Forderndes.
Augenblicklich hatten meine vor Schmerz pochenden Glieder für mich den Aufmerksamkeitswert von Blähungsbeschwerden eines Regenwurms in Katmandu. Ich sprang auf die Beine und schaute mich suchend um. Der Farnendschungel wuchs mir jedoch über den Kopf und nahm mir die Sicht, so daß ich mit gebührender Vorsicht in die Richtung schlich, aus der ich die Stimme zu vernehmen glaubte. Der Wald, der sich diesseits der Autobahn vom Feuchtgebiet auf der anderen Seite ziemlich unterschied, war in eine abwechslungsreiche Eichen- und Hainbuchen-Mischflora übergegangen. Die Bäume hier waren rüstige Greise, deren Astwerk sich über die Jahrhunderte hinweg ohne irgendwelche Beschränkungen entfalten konnte. Das Liebesjaulen der Geisterdiva echote in diesem durch den unkontrollierten Wildwuchs relativ dunklen Labyrinth unendlich wider, und für einen Moment glaubte ich an einen phonetischen Streich von Elfen, die am Ende tatsächlich in den Wäldern hausten, wie die Märchenonkel immer behaupteten. Dann jedoch glitten zwei Farnblätter wie Theatervorhänge auseinander, und ich erblickte das begehrenswerteste weibliche Wesen, das die feline Schöpfung jemals hervorgebracht hat.
Der Zufall wollte es, daß die Bäume sich um die Laubschicht, auf der sie wie eine audienzgebende Herrscherin halbaufgerichtet lag, ringförmig zu einem natürlichen Pavillon gruppierten. Durch eine Lücke in der Kuppel dieses Dachs fiel ein einziger Sonnenstrahl, der meine Waldkönigin wie das Spotlight den Star traf und sie in eine unwirkliche Lichterscheinung mit einer grellen Aura verwandelte. Was mich aber in die Wirklichkeit zurückholte, war die Tatsache, daß ich hier zum ersten Mal einer Vertreterin der uns am nächsten stehenden Verwandten, nämlich der europäischen Felis silvestris ( 8 ), begegnete. Wir Domestizierten nennen sie ehrfürchtig »die Wilden«. Diese Wald-Felidae trägt von uns allen wohl das schwerste Kreuz, und es kursieren die wundersamsten Gerüchte über sie. Ihr außergewöhnlich heimliches Leben, welches sogar den Forschern eine kontinuierliche Beobachtung erschwert, macht sie tatsächlich zu den »grauen Gespenstern«, wie sie im Volksmund oftmals genannt werden.
Über die Wilden wußte ich deshalb so gut Bescheid, weil ich mich damit in der Vergangenheit anhand einschlägiger Fachliteratur beschäftigt hatte. Als ich mich nämlich während einer deprimierenden Lebenskrise, auch die Midlifecrisis genannt, meinen Wurzeln ziemlich entfremdet gefühlt hatte, wollte ich durch diese Art der Recherche wieder zu ihnen zurückfinden. Doch kein Buch der Welt hätte mir vermitteln können, welch eine überwältigende Pracht eine solche wilde Verwandte in Wirklichkeit entfaltete. Die Grundfarbe ihres flauschigen Fellkleides war ein marmoriertes Grau mit einem gelblichen Unterton. In dem mächtigen Kopf steckten zwei scharfe, weißlichgrüne Augen, die minimale Bewegungen in der Umgebung mit der Sensibilität eines Seismographen registrierten. Meine Belle du jour besaß etwa ein Viertel mehr Körpervolumen als ich und einen viel größeren und buschigeren Schwanz. Gegenwärtig wälzte sie sich wollüstig auf der Erde, leckte sich zwischendurch die Pfotenballen, bis sie ihren Lockgesang wieder fortsetzte. In diesen hocherregten Zustand war sie nicht rein zufällig geraten, vermutete ich. Um ihre Maulwinkel klebte nämlich etwas Blut und ein, fast unscheinbares Büschel brauner Haare. Es sah ganz so aus, als sei sie nach einer frustrierenden Jagd, bei der das Wild wahrscheinlich mit einer leichten Verletzung entrinnen konnte, nicht in den Genuß der ersehnten Streßentladung gekommen. Die feurigen Jagdgefühle waren daraufhin in drängendes sexuelles Verlangen umgeschlagen. Das unergründliche Wechselspiel zwischen Aggression und körperlicher Leidenschaft in unseren Reihen wurde mir so aufs neue vorgeführt.
Dann erblickte sie mich, und dieser Augenkontakt war wie das Zusammenprallen zweier durch das Weltall rasender Sonnen, die sich in ihrer siedenden Lava vereinigen. Kein Ausdruck der Überraschung huschte über ihr Gesicht, als sie meiner gewahr wurde, sondern ein überlegenes Lächeln, geradeso, als sei ihre Falle endlich zugeschnappt. Ich roch ihre lieblichen Ausdünstungen meterweit und glaubte, vor unbändigen Triebwallungen augenblicklich in Ohnmacht zu
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