Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
Eine extrem hagere Frau von fast zwei Metern Größe pinselte wie besessen an einem gigantischen Landschaftsgemälde auf einer Staffelei. Leider sah ich sie nur von hinten. Sie trug einen kaftanartigen schwarzen Umhang, der hinten bis zur Hüfte von ihrem ergrauten, sorgfältig gekämmten Kraushaar bedeckt wurde. Zwischendurch grabschte sie nervös nach der filterlosen Zigarette in dem vor Kippen überquellenden Aschenbecher auf einem Tischchen und saugte daran mit verzweifelter Inbrunst.
Zwei Merkmale unterstrichen jedoch die erwähnte Uneinheitlichkeit. Die hinter der Staffelei aufragende Wand wurde von einem riesigen Regal eingenommen, das bis zum letzten Zentimeter mit gewissenhaft numerierten Videokassetten bestückt war. Vollkommen unzureichend für einen Videofreak aber war der kleine Fernseher, der in dem lediglich von einer antiquierten Leselampe dämmrig beleuchteten Raum auf einem um so luxuriöseren Videorecorder stand. Die geballte Präsenz der Audiovision wirkte in diesem ansonsten vorwiegend von Accessoires einer spartanisch lebenden Künstlerin geprägten Gemach wie ein Fremdkörper. Die zweite Irritation wurde durch das Gemälde auf der Staffelei ausgelöst. Ohne einen Funken von Talent war ein Waldtableau auf die Leinwand geschmiert worden, das an Einfallslosigkeit seinesgleichen suchte. Zwischen den düsteren Bäumen leuchteten Augenpaare auf, denen feline Glubscher Modell gestanden zu haben schienen. Irgendwie diabolisch stierten sie die reale Welt an, als wären sie krankhafte Ausgeburten eines Paranoikers. Von Qualität keine Spur, doch darauf kam es der Künstlerin offensichtlich auch gar nicht an. Wie unter einem furchtbaren Zwang an der Zigarette ziehend, kleckste sie geradezu manisch vorwiegend trübe Farben auf das bereits ausgemalte bedrohliche Dickicht, als vertreibe sie auf diese Weise irgendwelche Geister aus ihm. Es war unverkennbar, daß es sich hierbei um eine Art Selbsttherapie handelte.
Die im Grunde recht langweilige Spionage wurde jäh unterbrochen, als meine Krallen versehentlich ein verräterisches Kratzen auf dem Holz der Fensterbank erzeugten. Daraufhin riß die Malerin ihren Kopf mit der blitzartigen Bewegung einer Echse in meine Richtung. Das Gesicht, welches ich für den Bruchteil einer Sekunde sehen konnte, erschreckte mich zutiefst. Es war alterslos und doch wie das einer Greisin. Es erinnerte mich an die Physiognomien von Kindern, die an diesem geheimnisvollen Methusalemsyndrom leiden. Obgleich sie schätzungsweise Ende Vierzig sein mußte, wohnte ihren Augen eine infantile Neugier inne, die sich jedoch mit einer unbestimmten Angst paarte. Der Glanz in diesen Augen schien aber irgendwie erloschen, und sämtliche Gesichtszüge der Frau waren wie die einer Eiskönigin erstarrt.
Da ich einer Art angehöre, die die Finessen des Unsichtbarwerdens zu einer hohen Kunst entwickelt hat, ließ ich mich lautlos vom Fensterbrett heruntergleiten und verkroch mich darunter. Über mir hörte ich Schritte, was nur bedeuten konnte, daß die Frau gerade zum Fenster eilte, um die Ursache des Geräusches herauszufinden. Nach einer bangen Weile entfernten sich die Schritte wieder; der Blick nach draußen hatte wohl keinen Erfolg gezeitigt.
Selbstverständlich hätte ich dem merkwürdigen Haus und seiner mehr als merkwürdigen Bewohnerin nun den Rücken zukehren und meiner Wege ziehen können. Doch da lockte noch das erste Stockwerk mit seinem ebenfalls dämmrig erleuchteten Fenster. Wer weiß, vielleicht würde ich dahinter einem netten Menschen begegnen, der meinesgleichen beim lebendigen Leibe das Fell über die Ohren zog und später das zarte Fleisch über einem romantischen Lagerfeuer briet, während er auf der Mundharmonika das Lied »Ein Jäger aus Kurpfalz« spielte. Das konnte ich mir natürlich auf gar keinen Fall entgehen lassen! Gleich am Fuße der Veranda entdeckte ich einen Baum, dessen mächtigster Ast sich über den Dachvorsprung neigte. Es sah nicht schwierig aus, den Stamm emporzuklettern, auf dem Ast einen mich eher unterfordernden Balanceakt bis zur Mansarde zu absolvieren und sodann durch das Fenster zu blinzeln.
Gedacht, getan. Als ich nach der lächerlichen Übung auf den Dachziegeln stand, lenkten mich meine Pfoten schnurstracks zum offenstehenden Fenster, aus dem ein sanftes Flackern herausdrang. Dort angelangt, steckte ich die Nase behutsam ins Zimmer. Ich hatte ja schon bemerkt, daß etwas Skurriles dieses Haus umgab, aber gegen das, was meine entgeisterten
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