Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
schimmernde, vor Angst verkrampfte Gesicht begann sich aufzuhellen, und der Blick verwandelte sich wieder in den einer schrulligen Eule zurück.
»Natürlich nicht. Heutzutage läßt man sogar Peter Handke am Leben. Ich beuge mich dem Rechtsstaat.«
Vollkommen verständnislos runzelte er die Stirn. »U-U-Unklarheiten gilt es zu klären, Fremder.«
Ich hatte den Verdacht, daß das Stottern keine schockartige Folge unserer Begegnung war. Selbst auf die Möglichkeit hin, ihn noch mehr zu verstören, tat ich einen Schritt ins Zimmer. Die Alarmanlage draußen machte mich ein wenig nervös.
»Warum sollte ich einem Verwandten im Geiste etwas antun wollen? Abgesehen davon töte ich nur noch bei besonderem Anlässen.«
Er beruhigte sich wieder, nahm die Pfoten herunter und setzte ein herzliches Lächeln auf.
»V-V-Verstehe. Beruht offenbar alles auf einem Mi-Mi-Mißverständnis. Gestatten, Ambrosius mein Name, ein ewig Suchender in Sachen ASW.«
Moment mal! Mit dem bittersüßen Leiden des Dschungelfiebers hatte mich eine gewisse Alraune vertraut gemacht. Ihre Mutter wiederum, so hatte sie verraten, trug den Namen Aurelie. Und jetzt Ambrosius. Spielten wir hier mittelalterliches Scrabble? Warum nicht? Schließlich spukten da draußen auch noch irgendwelche Schwarzen Ritter herum. Hätte mich nicht gewundert, wenn die Herbstzeitlose von unten plötzlich auf einem Besen ins Zimmer geschwirrt wäre.
»Angenehm. Ich heiße Francis. Ein ewig Suchender in Sachen IHF.«
»IHF?«
»Industriell hergestelltes Futter!«
»V-V-Verstehe. Komm doch herein, Francis, ich glaube, in dieser Beziehung kann ich dir d-d-dienlich sein.«
Er trat zurück und deutete mit der Pfote in eine Ecke des Raumes. Ich sprang von der Fensterbank auf den Schreibtisch und schaute in die angedeutete Richtung. Der Anblick nahm mir vor Glückseligkeit den Atem. Ein Plastiknapf von der Größe eines Swimmingpools mit einem Mount Everest Fleischgeschnetzeltes, daneben Trockenfutter en masse und eine Schüssel Wasser bewiesen nichts Geringeres als die Existenz Gottes. Halleluja! frohlockte ich im Geiste und stürzte mich, sämtliche feinen Manieren über Bord schmeißend, auf das Gelage, noch bevor Ambrosius mir einen guten Appetit wünschen konnte. Erst als ich die Hauer in die Delikatessen hineinrammte, ging mir auf, daß ich nahe daran gewesen war, zu verhungern und zu verdursten. Kräftezehrende Flucht- und Beckenbewegungen hatten meinem Körper alle Substanz entzogen, was auch der kurze Schlaf nicht hatte wettmachen können. Das Gefühl, das ich während des orgiastischen Freßgelages empfand, ließ sich mit einem einzigen, in unserer Zeit jedoch allmählich im Verschwinden begriffenen Wort benennen: Dankbarkeit. Tiefste Dankbarkeit fühlte ich zu demjenigen, der meine Not erkannt hatte und ohne zu zögern bereit gewesen war zu teilen. Ich liebte diesen Stotterer, für den der Titel Eure Merkwürdigkeit noch zu konventionell zu sein schien, der aber ein Organ besaß, mit dem heutzutage immer weniger Zeitgenossen auf die Welt kommen: ein Herz. Ärgerlich nur, daß ich andauernd beide Backen so voll hatte, daß ich diese innige Dankbarkeit nicht artikulieren konnte.
Endlich, nachdem nicht einmal mehr ein Anstandshäppchen die Töpfe schmückte und die kulinarische Wertung in Form eines zufriedenen, nimmer enden wollenden Rülpsers zum Ausdruck gebracht worden war, konnte ich es aussprechen: »Danke, Ambrosius! Du hast mir das Leben gerettet. Und das ist keine bloße Redensart, mein Freund.«
»U-U-Um ein Leben zu retten, bedarf es schon etwas mehr, Francis. Ich freue mich, daß es dir geschmeckt hat. Was mich angeht, so ersticke ich geradezu im Überfluß. Diana, meine Lebensgefährtin, ha-ha-hat nicht mehr alle Tassen im Schrank, seitdem sie in diesem Wald versackt ist. Aber die Fürsorge zu ihrem kleinen L-L-Liebling verstärkte sich im gleichen Maße, in dem sie sich von der Normalität entfernte.«
Es lag mir auf der Zunge, zu entgegnen, daß der kleine Liebling anscheinend auch nicht gerade die EG-Norm für geistige Gesundheit erfüllte, doch verkniff ich es mir im letzten Moment.
»Abgesehen von deiner unglaublichen Fertigkeit, sind mir hier schon vorher einige seltsame Sachen aufgefallen, Ambrosius. Zum Beispiel ist mir kaum ein großer Maler bekannt, der mit der Inbrunst eines Legasthenikers Tausende von Videokassetten hortet und sich diese Dummacher wahrscheinlich auch noch anguckt.«
Ich sprang wieder auf den Tisch und schielte mit
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