Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
fühlte, daß ich alles wieder gutmachen konnte, wenn ich diesem Ungeheuer sofort nachsetzte und mich ihm zum Kampf stellte. Bei Gott, diesmal hatte ich eine Chance! Es war mir einerlei, ob er oder die immer hungrige Dogge oder beide gleichzeitig, mich in Stücke reißen würden. Zumindest hatte ich dann meine Pflicht erfüllt und Alraune die letzte Ehre erwiesen.
Schier selbstmörderisch ließ ich mich vom Dach auf den etwa vier Meter tiefer liegenden Hof fallen, bevor Ambrosius seinem Erschrecken Ausdruck geben konnte. Automatisch drehte ich dabei den Kopf nach unten, schwenkte die Vorderhälfte meines Körpers um 180 Grad dem Boden zu, streckte die Vorderpfoten, spreizte die Hinterbeine, drehte den Hinterkörper, wobei ich den Schwanz zum Austarieren des Gleichgewichts benutzte, und landete dann mit gekrümmtem Rücken, der den Landedruck dämpfte, auf allen Vieren - neben Alraunes Leiche. Von der unmittelbaren Nähe gesehen, steigerte sich das schaurige Bild ins Unfaßbare. Doch mir war nicht mehr nach Trauern zumute, sondern nach Töten, blindlings und genießerisch. Ein derart zerstörerisches Verlangen hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal in meinen schlimmsten Zornesattacken verspürt. Doch das schäbige Leben hielt immer eine Überraschung bereit. Oder wie Schopenhauer erläutert: »Welche Kräfte zum Leiden und Tun jeder in sich trägt, weiß er nicht, bis ein Anlaß sie in Tätigkeit setzt - wie man dem im Teiche ruhenden Wasser, mit glattem Spiegel, nicht ansieht, mit welchem Toben und Brausen es vom Felsen unversehrt herabzustürzen fähig ist.«
Sechstes Kapitel
Wie ein Kamikazetaucher in das Welleninferno, so stürzte ich mich in den finsteren Wald, ohne auch nur den Deut einer Ahnung zu besitzen, in welche Richtung die Killer sich davongemacht hatten. Hinter meinem Rücken hörte ich Diana aus dem Haus rennen, welches durch das Licht der diversen Strahler aussah wie eine Freilichtdisco. Doch das interessierte mich nun herzlich wenig. Ich war besessen von dem Verlangen, Alraunes Mörder in Geschnetzeltes zu verwandeln, obgleich sie ja, wie ich neidlos eingestehen mußte, die erfahreneren Metzger waren. Die Todesvision hatte mich in einen seltsam angstlosen Zustand versetzt. Angst, so dachte ich, ist etwas für die selbsternannten Unsterblichen. Daß die Dinge aber etwas komplizierter lagen, sollte ich nicht nur in den folgenden Minuten erfahren.
Meine Instinkte hatten mich spontan auf den richtigen Kurs gebracht, denn aus der namenlosen Schwärze des Gehölzes hörte ich ein Rascheln, das sich im selben Tempo von mir entfernte, wie ich ihm zu Leibe zu rücken versuchte. Zudem schien es aus zwei Richtungen zu kommen, was darauf schließen ließ, daß der verrückte Hugo und die Dogge sich inzwischen getrennt hatten und solo flohen. Und sie flohen vor mir - was für ein Triumph! Ich beschleunigte, begann zu rennen. Buschwerk und Zweige schlugen mir während der Raserei ins Gesicht, Erdhügel zwangen mich zu kühnen Sprüngen. Von körpereigenen Opiaten gedopt, hetzte ich den Phantomen der Nacht hinterher, felsenfest davon überzeugt, daß ich sie überwältigen und richten könnte. Zu dem Geraschel gesellte sich allmählich ein mißgelauntes Knurren, eines von der Sorte, welches in die Enge Getriebene von sich geben. Den Widerspruch, warum zwei Mordbolde sich ausgerechnet vor einem Mückengewicht wie mir fürchten sollten, ignorierte ich, und die Unmutsäußerungen der Getriebenen flößten mir paradoxerweise geradezu überirdische Kräfte ein. Voller Enthusiasmus raste ich schneller und schneller und schneller. Bald hörte ich sie ganz dicht vor mir und nahm sogar ihren Geruch wahr. Seltsam, sie rochen so ganz anders, als ich es erwartet hatte. Doch wie sollten sie denn riechen? Wie städtische Bedienstete des Zentralfriedhofs nach einer ekligen Umbettung? Das Gegenteil war der Fall. Der Geruch, der ihren Drüsen entströmte, spiegelte eine Facette quirligen, wilden Lebens wider, mit all den dazugehörigen komplizierten Noten und Botschaften, die allein eine animalische Nase zu entschlüsseln versteht.
Die beiden ... Die beiden? Ich war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob ich wirklich zwei Flüchtenden hinterherhetzte. Denn je näher ich ihnen kam, desto konfuser drifteten die Raschellaute auseinander, geradeso, als schwirre eine Gruppe fächerartig aus. Oder unterlag ich einer akustischen Täuschung, verursacht durch das Nachrauschen der Blätter, die wir alle gemeinsam
Weitere Kostenlose Bücher