Felidae 4 - Das Duell
besagter Morpheus mir noch einen kleinen Streich. Ich wurde nämlich von einem weiteren Traum beehrt. Er war nicht so aufwendig wie der letzte, dafür jedoch um einige Dimensionen beängstigender. In ihm klappte ich, von einer klammen Hand berührt, jäh die Augenlider auf und sah das Phantom über mir. Es saß auf der Bettkante und starrte regungslos auf mich herab. Der schnarchende Gustav neben mir schien es nicht weiter zu fesseln. Der trübe Schein der Sterne, der durch die Terrassentüre drang, enthüllte nun etwas mehr von seinem Äußeren. Es besaß ein dichtes Fell, eins von solcher Exklusivität, wie es nur Pelzzüchter in jahrzehntelanger Arbeit zur Vollendung gelangen lassen können. Der Kopf war eine dreifache Vergrößerung von meinem, gegen das Sternenlicht zeichnete sich die Silhouette von spitzen Ohren ab. Ja, es schien ein Tier zu sein, ein mächtiges Tier, aber gleichzeitig wiesen seien Konturen äußerst menschliche Züge auf. Die Beine, die eher den durchtrainierten Armen eines Zweibeiners ähnelten, die Schnauze, die wie die etwas langgezogene Nasen-Mund-Partie eines jungen Mannes aussah – der Kerl saß sogar wie ein richtiger Mensch aufrecht auf seinem Hintern.
Nur die Augen des Phantoms paßten weder in die eine noch in die andere Kategorie, solch hell leuchtende Augäpfel konnte kein Mensch sein eigen nennen, geschweige denn ein Tier. Wovon offenkundig auch das Phantom nicht verschont wurde, das waren Tränen. Wie zuvor Archie und Gustav weinte auch die anhängliche Spukgestalt in dieser Nacht, klagend und herzbewegend und so ausgiebig, daß schon das ganze schöne Fell benetzt war. Und genau das schien auch der Grund zu sein, weshalb das Phantom nun an meiner Bettkante saß: Ich sollte ihm beim Weinen zusehen.
Meine Lider schlossen sich wieder, in der Hoffnung, den bizarren Traum auf diese Weise loszuwerden. Doch bevor ich in das wahre Traumland abglitt, mußte ich mir meiner überwältigenden Furcht zum Trotz eingestehen, daß ich diesmal nicht geträumt hatte!
7.
A m nächsten Morgen war das Phantom verschwunden. Allerdings auch Gustav. Eigentlich war auch der Morgen schon verschwunden, denn ich hatte das untrügliche Gefühl, daß es bereits auf Mittag zuging. Ich fühlte mich ausgeruht, die nächtliche Exkursion hatte keine Spätfolgen hinterlassen. Sogar die Wunde am Hintern tat nicht mehr weh. Dennoch schnellte mein Herzschlag bereits beim Öffnen der Augen in den roten Bereich, da mir der mittägliche Termin im Park einfiel. Wenn ich nicht auf der Stelle die Beine in die Pfote nahm und losdüste, mußte ich bei der Truppe mit der pubertärsten aller Entschuldigungen aufwarten: Ich habe verschlafen!
Wie ein Gummigeschoß schnellte ich aus dem Bett, verließ das Schlafzimmer, lief in die Küche und von dort in die Toilette. Das Fenster war verschlossen! Ausgerechnet jetzt. Also wieder zurück zur Diele, eine scharfe Rechtskurve genommen und den Kopf mit voller Wucht gegen die Klappe in der Tür gerammt ...
... und Sterne gesehen! Ich prallte von der Klappe, die durch den Kopfstoß nicht einmal erzitterte und sich wie Granit anfühlte, zurück und flog der Länge nach auf den Rücken. Während ich noch mit bewußtseinserweiternden Phänomenen wie Doppelsehen und elektrisierenden Schmerzen im Schädel zu kämpfen hatte, fragte ich mich, wieso das verdammte Ding nun auf einmal blockierte, wo es doch vor ein paar Stunden noch wie Butter nachgegeben hatte. Trotz der Höllendämonen, die in meinem Hirnkasten Squash zu spielen schienen, erhob ich mich, schleppte mich mühsam zur Klappe und drückte und hämmerte so fest es ging mit beiden Pfoten dagegen. Unfaßbar, sie bewegte sich keinen Millimeter, als wäre sie eine gottverdammte Tresortür!
Ich ließ mich auf den Hintern fallen und glotzte mit zwischen Trance und Ratlosigkeit schwankendem Blick auf den versperrten Ausgang. Da fiel mir plötzlich auf, daß in die linke Längsseite der Klappe ein kleiner Holzkeil getrieben worden war. Wieso hatte Gustav das getan, wo er doch so um meinen sportlichen Auslauf bemüht war? Und warum ausgerechnet heute? Rätselraten half jedoch gegenwärtig nicht weiter. Ich fuhr die Krallen aus und begann, heftig kratzend den Keil von der Stelle zu bewegen. Doch außer, daß mir ein paar Holzfasern zwischen den Krallen stecken blieben, passierte nichts. Schließlich sprang ich auf den verflixten Keil, krallte mich daran wie ein Free-Climbing-Athlet mit allen vier Pfoten fest, schwang
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