Felidae
verunstaltete Gesicht des Monstrums war nicht gerade dazu prädestiniert, sein aufregendes Seelenleben widerzuspiegeln, aber diesmal sah man die abgebrühte Physiognomie von tiefster Besorgnis bewegt. Zwar gab er sich alle erdenkliche Mühe, sich nichts anmerken zu lassen und so zu tun, als würde er lediglich einen routinemäßigen Inspektionsblick auf seine Pi ß stelle a. D. werfen, doch sein heilgebliebenes, jetzt stark zuckendes Auge und die flachangelegten Ohren verrieten Furcht und Unruhe zugleich. Nichtsdestoweniger spielte er mir supercooles Desinteresse vor und würdigte mich zunächst keines Blickes.
»Kalter Sack?« fragte ich ihn rundheraus.
Er war mehr als überrascht, nahm aber im nächsten Augenblick wieder Haltung an und zog eine stoische Humphrey-Bogart-Visage.
»Kalter Sack!« gestand er nach einer Weile.
Ich ließ die rechte Hinterpfote wie ein Springmesser nach oben schnellen und begann, mich am Hals zu kratzen.
»Wen hat's denn aus unserer gottesfürchtigen Gemeinde diesmal erwischt? Halt, warte mal. Es handelt sich um einen Kerl, stimmt's? Wie die anderen vier Leichen.«
Jetzt zeigte er sein Erstaunen offen.
»Scheiße ja! Woher, zum Henker, weißt du das?«
»Ach, nur so eine Vermutung.«
Der Hals war genug bearbeitet. Ich nahm mir nun die Brust vor und reinigte das Fell gründlich mit der Zunge. Zwischendurch hackte ich immer wieder die Zähne in die Wolle und kämmte sie nach Parasiten durch 5 .
Das Monstrum humpelte schnaufend ins Zimmer und hockte sich mit betrübter Miene neben mich.
»Diesmal hat der alte Deep Purple das Zeitliche gesegnet. Sein Nacken sieht so aus, als hätte jemand darin seinen neuen Eispickel ausprobiert. Von mir aus hätte man dieses dämliche Arschloch auch zu Hundefutter verarbeiten können, aber allmählich gehen mir diese Abgänge auf die Eier. Wer weiß, vielleicht findet derjenige, der dieses ausgefallene Hobby pflegt, auch an meinem Nacken Gefallen.»
»Wer war Deep Purple?«
Jetzt kam der Schwanz dran. Ich krümmte den Schlauch zu einem perfekten U und arbeitete mich leckend von der Wurzel abwärts bis zur Spitze durch.
»Deep Purple? Ein Schwachkopf, wie er im Guinness Buch der größten Schwachköpfe steht. Wenn's das Wort Spießer nicht schon gäbe, hätte man es für diesen Chefspießer extra erfinden müssen. Er ist - er war unheimlich alt, hatte aber noch genug Saft in den Batterien, um einen pausenlos zur Einhaltung der ehrwürdigen Regeln zu ermahnen. Dieser Blödmann war 'ne richtige Plage und hat uns mit seinen Moralappellen auf Schritt und Tritt angeschissen.«
»Und wieso hieß er Deep Purple?«
»Das war's ja eben. Sein Besitzer ist das krasse Gegenteil von ihm. Er hatte den guten alten Deep Purple Deep Purple getauft, weil er sich selbst für so einen bescheuerten Deep Purple hält. Er ist so eine Art Easy Rider für mittlere Lohngruppen. Nach Dienstschluss stülpt er sich die heavy Lederkluft über, knallt 'nen crazy Black-Sabbath-Oldie auf den Plattenteller, tätowiert sich selber ein Totenschädel-Emblem auf die Arschbacke, tritt mit seinen elefantösen Lederstiefeln die eigenen Fenster zu Bruch, schleudert den Leuten leergesoffene Bierbüchsen an den Kopf, und wenn er sich nach all dem wieder etwas beruhigt hat, dreht er sich genü ß lich einen Joint nach dem andern und kifft bis zur Bewusstlosigkeit.«
»Was ist der Typ von Beruf?«
»Postbeamter.«
»Oh, was für ein niedlicher Widerspruch!«
Zum Schlu ß der Generalsäuberung leckte ich mir abwechselnd die Vorderpfoten na ß und rieb sie mir dann über das Gesicht und die Ohren. Schließlich mu ß te ich bei so einem krassen Fall einen frischen Kopf behalten.
»Klar Mann, dieser Dosenöffner hat nicht mehr alle Tassen im Schrank! Jedenfalls bekam Purple immer das große Kotzen, wenn er diesen angejährten Dennis Hopper schon von weitem sah. Er entsprach kaum seinen Vorstellungen von einem sittsamen Leben. Aber was blieb ihm für eine Alternative? Man kann sich seinen Dosenöffner eben nicht aussuchen, nicht wahr? Die beiden zu beobachten war schon eine echte Horrorshow. Auf der einen Seite Deep Purple, ganz Herr Biedermann, ständig auf der Hut davor, da ß irgendjemand hinter seinem Rücken sein Revier betreten und eine gelbe Stinklache hinterlassen könnte; von früh bis spät am Rande eines Nervenzusammenbruchs, weil der Born-to-be-wild-Kasper sich nie an einen regelmäßigen Zeitpunkt der Fütterung hielt, und dauernd außer sich vor Zorn, weil die Jugend von
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