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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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häufigste Todesursache für meinesgleichen. Eine falsche Reaktion, eine miese Berechnung für das Überqueren einer Straße oder ein Schreckreflex, auf den dann gewöhnlich ein kopfloser Fluchtreflex folgt, und schon kleben deine Eingeweide im Profil eines Autoreifens. Nur wenige überleben die spektakuläre Bekanntschaft mit einem Mercedes Benz oder einem Golf GTI. Und die, die überleben, sahen sie so aus?
    Ich hatte oft Gelegenheit gehabt, solche Unfälle und ihre Folgen zu beobachten. In der Regel teilten sich die Opfer in drei Kategorien auf. Zu neunundneunzig Prozent starben sie direkt an Ort und Stelle und hinterließen der Nachwelt nichts weiter als ein unappetitliches, schwer zu deutendes Gemälde ihrer selbst auf dem Asphalt. Die zweite Sorte der Kollisionskandidaten kam mit einem blauen Auge davon, wurde etwa eine Woche lang in die Geheimnisse einer Gehirnerschütterung eingeweiht, bis sie wieder hergestellt war und fortan ihre Ansichten über Fortschritt und Technik vollkommen revidierte. Am schlimmsten traf es die dritte Gruppe. Diese mu ß te sich in Zukunft mit deprimierenden körperlichen Gebrechen, noch deprimierender aber mit psychischen Defekten herumquälen, die meistens einen baldigen Tod zur Folge hatten. Wie auch immer, in allen Fällen waren die Gewinner die Veterinäre und die Hundeliebhaber; letztere, weil sie wieder eine neue Gelegenheit bekamen, zynische Bemerkungen über unseren Intelligenzquotienten vom Stapel zu lassen. Doch was für ein abstruser Verkehrsunfall mu ß te stattfinden, da ß einem dabei ein Auge auslief, der Schwanz fein säuberlich abgetrennt und die rechte Vorderpfote verstümmelt wurde?
    Es gehörte wirklich die Phantasie eines ausgefuchsten Action-Drehbuchautors dazu, sich ein derart verzwicktes Unglück vorzustellen. Aber meine Phantasie hatte Flügel, und natürlich konnte ich mir etwas anderes vorstellen, was ich mir jedoch lieber nicht vorstellen wollte. Nämlich, da ß Blaubarts Verkrüppelungen gar nicht die Folge eines Verkehrsunfalls waren, sondern das Werk eines Sadisten, eines durch und durch irren Dosenöffners. Dagegen war wiederum einzuwenden, da ß Sadisten nur in den seltensten Fällen chirurgische Fähigkeit besitzen und eher dazu neigen, die Objekte ihres Wahnsinns vollkommen unfachmännisch zu quälen.
    Kurzum, wie sehr ich mich auch bemühte, für Blaubarts Zustand eine logische Erklärung zu finden, kam ich dennoch nicht zu einem einleuchtenden Schlu ß . Selbstverständlich hätte ich ihn einfach danach fragen können, aber wie ich inzwischen die verstockte Art meines Freundes einzuschätzen gelernt hatte, wäre er wohl kaum rundheraus mit einer plausiblen Antwort rausgerückt. Ich wu ß te, es würde noch eine ganze Weile dauern, bis ich in seine Krankheitsgeschichte eingeweiht werden würde.
    Unterdessen hatten wir uns ziemlich weit vom Haus entfernt, so da ß es hinter Mauern und Bäumen verschwunden war. Wir befanden uns jetzt inmitten unseres Distrikts, also auf »fremdem Boden«, was mich zugegebenermaßen bange werden ließ, da ich mir sehr gut ausmalen konnte, wie meine freundlichen Artgenossen mit Fremdlingen in ihrem eigenen Territorium umspringen würden. Wie ein aus dem Zuchthaus entflohener Strafgefangener ließ ich meinen Blick fortwährend unstet umherschweifen, immer in der Erwartung, im nächsten Moment einen beim Anblick meiner Wenigkeit gerade psychopathisch werdenden Kollegen zu sichten. Nichtsdestoweniger prägte ich mir nebenbei die Topographie dieses Gebiets gründlich ein, weil ich davon ausgehen mu ß te, da ß es von nun an meine Heimat sein würde.
    Hierbei war es meinen paranoid hin- und herrollenden Augen vergönnt, durch die rückwärtigen Fenster in diese alten Häuser hineinzuschauen. Es war immer dieselbe Leier mit den Gefühlen, die angesichts im Abendrot golden-warm leuchtender Fenster in einem aufstiegen - diese hellen Rechtecke in der Dämmerung, aus denen Geborgenheit, Zuversicht, Liebe, die ganze verdammte heile Welt herauszustrahlen schien. Man konnte sich so richtig vorstellen, wie die ganze Familie um den klobigen Eichentisch versammelt war, zu Abend aß, die Kinder wild durcheinander plärrten, der Vater gelegentlich anzügliche Witze ri ß , darob ihn die Mutter ermahnte, solche Bemerkungen doch nicht im Beisein der Kinder fallenzulassen, und man selbst, ach ja, und man selbst unten auf die Leckerbissen wartete, die irgendein Familienmitglied, wahrscheinlich alle Familienmitglieder, einem hin und wieder

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