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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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als Mitglied einer blutrünstigen Sekte vorzustellen vermochte. Oder sollte ich mich derart in ihm getäuscht haben? Hatte er mich tatsächlich die ganze Zeit über angelogen und den Ahnungslosen gespielt? Für gewöhnlich besitze ich ein phänomenales psychologisches Einfühlungsvermögen und kann mit Fug und Recht behaupten, da ß ich die Gedanken und Intentionen meines Gegenübers schon mit nur einem flüchtigen Blick erraten kann. Aber man lernt nie aus in einer Welt, in der die Leute sich mit so vielen Lügen umgeben haben, da ß ihnen die Wahrheit unwillkürlich als die eigentliche Lüge erscheinen mu ß . Falls Blaubart mir jedoch nichts vorgemacht hatte, konnte zwischen der Claudandus-Sekte und den Morden kein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, was mir offengestanden schwer fiel zu glauben.
    Der fröhliche Gottesdienst war nun auf seinem Höhepunkt. Alle Anwesenden tobten und stimmten einen unheimlichen Singsang an. Fetzen, die ich aufschnappen konnte, bestätigten, da ß das Lied wie erwartet von Blut und Schmerz handelte. Ein paar ganz Wilde aus der Meute sprangen über die Köpfe der anderen hinweg nach vorne, damit sie schneller an die Stromdrähte gelangten. Ihre Schreie überschlugen sich. Der ehrfurchtgebietende alte Oberzampano aber hatte wie ein erfahrener Showmaster alles unter Kontrolle und steuerte lediglich einige farbige Redetupfer bei.
    »Oh, Claudandus, du Sohn des Schmerzes und des Lichts! Unsere Wunden sind voll des Blutes wie einst deine Wunden voll des Blutes waren. Erhöre unsere Pein und nimm unser bescheidenes Opfer an!«
    Ich war derart in die Betrachtung dieses faszinierenden Schauspiels versunken, da ß ich alle Vorsicht außer acht ließ und mich immer tiefer über den Rand der Öffnung beugte. Ohne da ß es mir aufgefallen war, hatten sich dabei meine Vorderpfoten auf deren zerbröckelnden Rand gedrückt, der nun mit einem Mal nachgab. Winzige Steine, Holzsplitter, abgeblätterte Farbpartikel und Zementstaub rieselten herab und schneiten das Haupt des Priesters ein. Ich machte voller Schreck einen Satz rückwärts, doch es war schon zu spät. Der Greis hatte blitzartig seinen Kopf hochgerissen und meinen zurückhuschenden Schatten erspäht.
    »Da oben ist jemand! Wir werden beobachtet! Wir werden beobachtet!« schrie er seiner Gemeinde zu, woraufhin die Zeremonie augenblicklich unterbrochen wurde. Hunderte von Köpfen schnellten auf einen Schlag in Richtung Decke und versuchten, durch das große Loch in der Finsternis etwas auszumachen. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, da ich mir nichts sehnlicher wünschte, als da ß dieses Affentheater doch ein Alptraum wäre. Die pompöse Aufführung trug aber den Titel Die Realität , und ich hatte darin wider Erwarten die Hauptrolle erhalten.
    Unten entstand ein lärmendes Durcheinander, doch ich hatte weder Lust noch Zeit, herauszubekommen, was sie gegen mich planten. Wahrscheinlich würden sie in ein paar Sekunden hier oben sein.
    Ich blickte mich gehetzt im Zimmer um. Ein morscher Balken hatte sich an einem Ende von der Decke gelöst und sich tief in den Raum geneigt. Genau darüber war in der Decke eine kleine Öffnung zu sehen, durch die ich mich vielleicht hindurchzwängen und so zum Dachboden gelangen konnte. Die zweite Alternative, allerdings mit viel ungewisserem Ausgang, war das Treppenhaus. Dort nach einem Eingang zum Dachstuhl zu suchen, war ein gewagtes, vor allen Dingen jedoch ein zeitaufwendiges Unternehmen. Einerlei, ich hatte sowieso keine Gelegenheit, beide Möglichkeiten auszuprobieren.
    »Worauf wartet ihr Idioten noch? Los hinauf! Bringt ihn hier her!« hörte ich den Gesalbten brüllen. Daraufhin setzte ein Stampfen und Trappeln von Hunderten von Pfoten ein. Sie waren bereits unterwegs.
    Instinktiv entschied ich mich für den Balken. Ich hechtete hinauf und bohrte meine Krallen tief hinein. Der Balken gab quietschend nach und neigte sich noch tiefer ins Zimmer. Ich wu ß te, bei der geringsten Erschütterung würde sich auch das andere Ende des Balkens von seiner Befestigung lösen und mit mir zusammen herabstürzen. Und dann? Wie um alles in der Welt würde ich dann aus dieser Hölle wieder herauskommen?
    Im Treppenhaus hörte ich wildes Gepolter. Gleich würden sie im Zimmer sein. Ich hatte keine Wahl mehr. Mit explosionsartiger Wucht ließ ich mich von meinen Hinterbeinen nach oben katapultieren und schaffte es tatsächlich auf Anhieb, Kopf und Vorderbeine durch das winzige Loch zu stecken. Im gleichen Moment löste

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