Felidae
nervtötender anhörenden Gejaule entgegen. Als sich das Treppenhaus nach der Rechtsbiegung um hundertachtzig Grad plötzlich wie in meinem Alptraum zu erhellen begann, hätte ich mich vor lauter Angst und Anspannung beinahe übergeben. Der einzige Unterschied zu meinem Traum war nur, da ß sich aus der einen Spalt breit geöffneten Tür im ersten Stock kein gleißendes Licht ergo ß , sondern der heftig flackernde Schein einer Lichtquelle, die etwa der glich, die beim Schweißen entsteht. Zwischendurch jedoch ging selbst diese Helligkeit verloren, und man befand sich wieder in völliger Dunkelheit.
Das Grauenhafteste waren aber die Stimmen. Schmerzensschreie, beinahe melodiös ausgestoßen, gleichsam einer verschrobenen Harmonie folgend, hallten im ganzen Gebäude unendlich fort, überlappten sich oder wechselten sich wie ein Gebetssingsang gegenseitig ab.
Der widerliche Geruch von Chemikalien, den ich gleich beim Einzug wahrgenommen hatte, war inzwischen so intensiv geworden, da ß ich auf die Hilfe des J-Organs nicht mehr angewiesen war und ihn mit der bloßen Nase riechen konnte. Dazu mischte sich der Verwesungsgeruch der leerstehenden, verrotteten Wohnungen.
Endlich stand ich an der Tür. Vorsichtig schob ich meine Nase am Türpfosten vorbei und riskierte einen Blick hinein. Von nun an lief alles nicht mehr so ab wie in meinem Alptraum - sondern viel schlimmer! Mir schlug der Geruch von Hunderten von Artgenossen entgegen. Ich konnte sie zwar nicht sehen, da sie sich weiter hinten in dem großen Zimmer aufhielten und ich lediglich Einblick in die finstere Diele hatte. Aber weil die Tür zu diesem Raum einen Spalt breit offenstand, konnte ich ein fortwährendes Gerappel und Gehüpfe hören und eben ihren Geruch wahrnehmen. Zu den Schmerzensschreien gesellte sich jetzt ein kräftiger Bass, der im getragenen Ton irgendeine bedeutende Rede zu halten schien, deren Sinn ich allerdings nicht verstehen konnte.
Mein Gott, wo war ich nur gelandet? Bei den Zeugen Jehovas? Ich stellte mir die Frage, was wohl passieren würde, wenn ich da einfach reinmarschierte, und beantwortete sie damit, da ß natürlich gar nichts passieren würde, weil ich eher einen Hund küssen wollte, als da reinzumarschieren. Denn allein der Gedanke an dieses Wagnis ließ meine Phantasie Blüten treiben, die alles übertrafen, was diese bisher hervorzuzaubern vermocht hatte. Neugier hin, Neugier her, noch war ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und dachte nicht im Traum daran, einen Raum zu betreten, in dem sich Hunderte von diesen wildgewordenen Mistviechern zusammengerottet hatten, sich fröhlich gegenseitig mordeten, wobei ein Priester ihnen mit erbaulichen Traktätchen Gesellschaft leistete.
Ich wollte gerade auf leisen Pfoten den Ausguck verlassen, als mein Blick zufällig auf die Decke der Diele fiel. Dort oben hatten sich in all den Jahren, in denen das Haus vor sich hin verrottet war, ansehnliche Löcher gebildet, durch die man in das zweite Stockwerk hinaufschauen konnte. Selbstverständlich war es unmöglich, durch sie irgend etwas zu erkennen, da auch die oben gelegene Wohnung in absoluter Finsternis lag. Doch ich vermutete, da ß auch die Decke des Zimmers, in dem die »Party« stattfand, beschädigt war. Also brauchte ich nur hochzulaufen, um mir für das gespenstische Schauspiel im ersten Stock einen Logenplatz zu ergattern. Wenn meine Annahme sich als richtig erweisen sollte, konnte ich das Treiben in aller Seelenruhe von oben beobachten und dabei Popcorn futtern, ohne von der Mörderbande erwischt zu werden.
Ich tapste rasch die Treppe hinauf und gelangte in das darüberliegende Gescho ß . Zu meiner Überraschung und Erleichterung stellte ich fest, da ß hier überhaupt keine Wohnungstür mehr vorhanden war. Sie hatte sich vor lauter Fäulnis einfach aus ihren Angeln gelöst und war, wahrscheinlich mit Hilfe eines kräftigen Windstoßes, umgestürzt. Umso besser für mich, denn ich konnte jetzt geradewegs hineinhuschen, ohne mich erst mit technischen Problemen plagen zu müssen.
Obwohl auch hier die Dunkelheit alleiniger Mieter war, merkte ich sogleich, da ß diese Wohnung mehr Ähnlichkeit mit meinem Alptraum besaß als die untere. Denn sämtliche Räume waren wie eine öffentliche Bedürfnisanstalt weiß gekachelt. Natürlich war diese Kachelverkleidung zum überwiegenden Teil zerschlagen und mit Schimmel und Dreck überdeckt, aber trotzdem prägte sie das Gesamtbild. Außer dem üblichen undefinierbaren Unrat, der
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