Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
Vom Netzwerk:
Schwanz. Ihr langes Fell, das hervorstechendste Merkmal, das sie von der Siam unterscheidet, hatte sich mit Regenwasser vollgesogen, und die seidenen Haare waren zu hä ß lichen nassen Knäueln verklebt, so da ß ihr feingliedriger Körper jetzt wie ein gerade aus der Waschmaschine herausgenommenes, zerknittertes Kleidungsstück aussah. Das Gesicht in dem langen, keilförmigen Kopf verriet nichts von der Monstrosität, mit der sie vor kurzem konfrontiert worden war, sondern schien dieser grausamen Welt entrückter denn je. Aus der riesigen Wunde im Nacken flo ß kein Blut mehr, die Arme war schon längst ausgeblutet, und wenn in unregelmäßigen Abständen doch noch ein paar Tropfen hervortraten, wurden sie von dem strömenden Regen sofort weggewaschen. Das Herzzerreißendste war jedoch ihre fortgeschrittene Trächtigkeit. Die Umrisse der kleinen Würmer zeichneten sich förmlich auf ihrem nassen Bauch ab.
    Alle meine Spekulationen über die Mordserie wurden nun unversehens zunichte gemacht, so wie ein sorgfältig aufgebautes Kartenhaus durch eine einzige unvorsichtige Bewegung in sich zusammenstürzt. Die Leiche war nicht männlich, sondern weiblich. Sie war zum Zeitpunkt ihrer Ermordung nicht rollig gewesen, sondern trächtig. Sie war kein »Standard«, kein Mitglied der Riesenfamilie Europäisch Kurzhaar, sondern sie gehörte einer Edelrasse an. Die einzige erkennbare Gemeinsamkeit zwischen diesem und den anderen Morden lag vielleicht in ihrer abgrundtiefen Sinnlosigkeit. Allein ein Irrer, ein amoklaufender Psychopath kam für solch eine Bestialität in Frage. Denn ein »vernünftiges« Mordmotiv konnte man aus dieser wahllosen Schlachterei beim besten Willen nicht herauslesen.
    Der helle Schein des Blitzes erlosch, und tiefe Dunkelheit hüllte die Balinesin wieder ein. Da ich nun wu ß te, wo sie lag, konnte ich sie trotzdem noch gut ausmachen. Aber sie hatte sich jetzt in ein Schattengeschöpf verwandelt, ohne jene grauenerregende Ausstrahlung, die sie im grellen Licht des Blitzes gehabt hatte. Ich fühlte mich wie versteinert, und es war mir unmöglich, auch nur mit einem Ohr zu zirpen. Während ich die Leiche ohne Unterla ß wie eine endlich erschienene Gottheit anstarrte, bearbeitete mich der Regen nach Herzenslust und schien durch meine Poren bis in mein Innerstes vorzudringen. Ein heftiges Zittern bemächtigte sich meines Körpers, vielleicht ein Hinweis auf eine beginnende Lungenentzündung.
    »Da schau her! Dem Kleinen ist die Puste ausgegangen. Wohl zu viel minderwertiges Trockenfutter gelutscht.«
    Kong stand keuchend auf der Mauer und blickte triumphierend grinsend auf mich herab. Schnell gesellten sich von hinten Herrmann und Herrmann zu ihm und imitierten sein dämliches Grinsen. Sie schienen meinen Fund nicht zu bemerken.
    »Ja«, sagte ich traurig. »Mir ist die Puste ausgegangen. Aber offenbar bin ich damit nicht der einzige.«
    »Was faselst du da?«
    Kong sprang von der Mauer herunter und landete genau neben mir. Seine beiden Lakaien folgten ihm auf dem Fuße. Weiterhin lächelnd musterte er mich eine Weile von der Seite. Dann fiel sein Blick auf die Leiche, und seine spöttische Miene verwandelte sich jäh in nacktes Entsetzen. Seine Augen weiteten sich, als wollten sie ihre Höhlen verlassen, und sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei. Auch Herrmann und Herrmann wurden von einer tiefen Betroffenheit erfa ß t, die man ihnen nicht zugetraut hätte.
    »Solitaire!« brach es schließlich aus Kong heraus, und er begann aus vollem Herzen zu heulen. »O Solitaire! Solitaire! Was haben sie dir nur angetan? Meine liebe, süße, schöne Solitaire! Mein Gott, was haben sie dir nur angetan? Meine arme, arme Solitaire! O Solitaire! ...«
    Er schrie und schluchzte und beschnupperte die Leiche und hüpfte wie ein regentanzender Indianer wie von Sinnen um sie herum und ri ß vor Verzweiflung Grasbüschel aus der Wiese. Wie jede seiner Gefühlsregungen hatte bei Kong auch die Trauer gewaltige Ausmaße. Das Riesenvieh verausgabte sich förmlich, bis es sich schließlich auf die tote Solitaire warf und wimmernd ihr regendurchtränktes Fell leckte.
    »Wer war sie?« fragte ich den schielenden Herrmann an meiner Flanke. Dieser wandte die weinerliche Visage von dem umschlungenen Paar ab und schaute mich so geknickt und geistesabwesend an, als sei nicht ich es gewesen, der ihm noch vor ein paar Minuten ein hübsches Souvenir ins Fell tätowiert hatte.
    »Solitaire war die Lieblingspuppe vom Boss. Und

Weitere Kostenlose Bücher