Felipolis - Ein Felidae-Roman
vielleicht sogar die gravierendste: meine Faulheit! Denn wenn ich auch dem lieben Freund das Gefühl vermittelt hatte, meine Untätigkeit in dieser Angelegenheit beruhe auf rationalen Erwägungen, so war es in Wirklichkeit nichts weiter als der Widerwille, sich in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu stürzen. Ich hatte in meinem Leben schon genug Verrücktes erdulden müssen, das mich, wie die Helden in amerikanischen Action-Filmen zu sagen pflegen, beinahe »den Arsch gekostet« hätte. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob mein alter Arsch noch so ein Abenteuer überstehen würde. Außerdem - die Sonne schien so schön.
Was also würde ich nun anstellen? »Du gewissenloses Mistvieh!«, hörte ich Blaubart wieder im Geiste brüllen. »Du scherst dich in Wahrheit einen Dreck um das Leid von deinesgleichen …« Geschenkt! Denn ein gewissenloses Mistvieh
wie ich scherte sich in der Tat weniger um die Sache selbst als um den Thrill, welchen sie versprach. Es galt letztendlich, meine krankhafte Neugier herauszukitzeln und zu befriedigen, auch wenn diese Haltung sich ziemlich zynisch anhörte. Zu bedenken war ebenfalls noch, ob dieses Neugierpotenzial den zu erwartenden Ärger, der jedem dieser blödsinnigen Abenteuer innewohnte, überwog. Deshalb leckte ich mir erst einmal gründlich das Fell und begab mich danach schnurstracks in Richtung der Prachtvilla. Nicht, dass ich mich in irgendeiner Weise in die Geschichte einmischen wollte. Ich wollte nur mal gucken, wie Mensch und Tier sich des schnöden Mammons wegen zum Affen machen.
Über die Gartenmauern tänzelnd, die wie ein Irrgartenmuster in der Rätselecke einer Zeitschrift anmuteten, verringerte ich Schritt um Schritt die Distanz zum milliardenschweren Ziel. Peu à peu verschwanden die Rückfronten der Gründerzeithäuser aus meinem Blickfeld und wichen einem Dschungel in Kleinformat. Von den Mauern war ich schon längst heruntergestiegen und bewegte mich auf Bodenniveau, wobei mich die goldene Nachmittagssonne angenehm streichelte. Zum Glück nennt unsere Rasse einen Orientierungssinn ihr eigen, der selbst im direkten Vergleich das modernste Navigationssystem ausbooten würde. So war es mir im labyrinthischen Unterholz und in der Dunkelheit des Pflanzendaches ein Leichtes, Kurs zu halten.
Mit einem Mal riss alles Gestrüpp und aller ineinander verschlungener Baumbewuchs auf, und mein Blick schweifte über eine offenkundig mit der Nagelschere gepflegte Rasenfläche von der Größe eines Flugplatzes. Dahinter ragte das backsteinerne Anwesen der Kants gen den sich rot einfärbenden
Himmel wie ein Riesenkrake empor. Im spastischen Rhythmus verspuckten überall in die Erde versenkte Impulsregner über das ganze Areal Wasser, und wie nicht anders zu erwarten, grenzte ein zirka drei Meter hohes, unendlich scheinendes Gitterwerk mit Blumenornamenten und pfeilscharfen Stabspitzen das golfplatzähnliche Grün von der Außenwelt ab.
Diesen der Berliner Mauer auf die feine englische Art gleichenden Zaun zu überwinden war für einen Menschen kaum möglich. Im Gegensatz zu meinesgleichen. Der Abstand zwischen den einzelnen Stäben betrug vielleicht acht Zentimeter. Doch selbst für einen seiner eigenen Natur Entwöhnten wie mich, bei dem die pünktliche Futterlieferung katastrophale Folgen am Erscheinungsbild hinterlassen hatte, war es ein Klacks, sich hindurchzuquetschen. Der Mensch bewundert gern den sogenannten Schlangenmenschen, der es durch allerlei groteske Verrenkungen fertigbringt, sich eine stinkende Zehe ins Nasenloch zu stecken. Doch gilt es als normal, dass einer wie ich, dessen Wohlstandsbauch schon die Peinlichkeitsgrenze überschritten hat, sich sogar durch ein Mäuseloch zu winden vermag. Wir besitzen nun mal ein paar Muskeln mehr als das Menschengeschlecht, die wir nach Belieben zusammenziehen und an die jeweilige Situation anpassen können.
Nein, das Problem lag woanders. Es gab vielleicht lediglich 0,000001 Prozent Menschen auf der Welt, die sich an einem solch brüllend heißen Tag nicht eine kalte Dusche gewünscht hätten. Dagegen unsereiner … Ich weiß nicht, woran es liegt, aber wir stehen selbst bei Saharahitze mit dem Wasser auf Kriegsfuß und vermeiden tunlichst, dass unser
Fell damit in Berührung kommt. Trinken ja, Nasswerden neeeeein! Bekanntlich scheut der Teufel das Weihwasser, bei uns muss es nicht einmal geweiht sein. Wie um alles in der Welt sollte ich eine Wiese überqueren, in der einen das böse, böse Wasser aus nervös zuckenden
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