Science Fiction aus Deutschland
Vorwort
Utopisch läßt sich der Deutsche gern unterhalten. Nicht nur im Jahre 1974, wo derzeit Monat für Monat rund 30 Science-Fiction-Hefte und 20 Science-Fiction-Taschenbücher (die Buchausgaben gar nicht mitgerechnet) auf dem Markt erscheinen. Das war schon so im vorigen Jahrhundert, wo die Lieferungsromane eines Robert Kraft Karl Mays Trivialkünste utopisch fortsetzten oder dokumentierte sich in frühen Heftserien wie Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff am Anfang unseres Jahrhunderts. In der Weimarer Zeit und im Hitler-Faschismus kamen Hans Dominik, Rudolf Heinrich Daumann und Thea von Harbou zum Zuge, und in der Bundesrepublik führte die Entwicklung von Karl Rauchs erfolglosen Weltraumbüchern über Pabels erfolgreiche Utopia -Serien in den fünfziger Jahren zu Moewigs Auflagenkönig Perry Rhodan.
Kurzgeschichten deutschsprachiger Autoren, zumal nach dem II. Weltkrieg, gibt es allerdings gar nicht so viele, denn abgesehen von dem gescheiterten Versuch, das amerikanische Modell der Magazin-Science-Fiction auf den bundesdeutschen Markt zu übertragen (Pabels Utopia-Magazin erreichte von 1955 – 1959 nur 26 Ausgaben, Moewigs Galaxis 15 Ausgaben in den Jahren 1958 und 1959), gab es nur das neomystische Planet-Magazin (auch das erfolglos), ein paar Amateur-Magazine mit Kleinstauflagen (Anabis, Pioneer, Robot) und hin und wieder Kurzgeschichtensammlungen einzelner Autoren. Selten nur konnte ein deutscher Autor in die eine oder andere SF-Anthologie eindringen. Junge Autoren haben es schwer, ihre Gehversuche zu veröffentlichen; sie müssen schon mit romanlangen Manuskripten aufwarten, um in die Phalanx der etablierten Autoren einzubrechen.
Diese Situation macht es auch schwer, eine SF-Kurzgeschichtensammlung mit ausschließlich deutschen Beiträgen zusammenzustellen, vermutlich aus diesem Grunde ist dergleichen bisher auch nie geschehen, sieht man einmal von den Experimentalbeiträgen genrefremder Autoren in Walter Aues ›Science & Fiction‹ (Melzer) ab. Bedenkt man weiterhin, daß der Wunsch des Deutschen nach Utopischem gern mit reaktionärem bis faschistischem Gedankengut betrogen wird, und versucht man solche Elaborate möglichst auszuklammern, dann bleibt fast gar nichts mehr. Was wir dennoch für wert befanden, folgt auf den nächsten Seiten. Das sind zunächst zwei Beiträge aus der Zeit der Jahrhundertwende von Kurd Laßwitz, dem Klassiker der deutschen Utopie und Paul Scheerbart, dem wohl originellsten deutschen Phantasten. Dann sind dabei als bekannte Vertreter bundesdeutscher Science Fiction Herbert W. Franke und Wolfgang Jeschke, beide mit bisher unveröffentlichten Geschichten sowie die außerhalb der SF zu Lorbeeren gelangten Autoren Hermann Ebeling, Peter von Tramin und Gerhard Zwerenz. Von Gerd Maximovič , der die Anthologie einleitet und beschließt, wird eine Kurzgeschichten-Kollektion vorbereitet. Harald Buwert, Bernt Kling und Jörg Spielmans werden dem SF-Leser keine Unbekannten mehr sein, aber sie zählen wie Martin Beranek, Norbert Fangmeier, Reinhard Merker, Horst Pukallus, Hans Wolf Sommer, Peter T. Vieton und Helmut Wenske eher zu den neuen Autoren, zumindest auf dem Gebiet der Kurzgeschichte. Wolf gang Günther Fienhold gar stieß von der Lyrik zur SF. Eine Reihe unserer Autoren bemüht sich um Distanz zu den bekannten Klischees der Science Fiction, und häufig begreifen sie Science Fiction als Mittel der Gesellschaftskritik. Das ist auch unsere Auffassung von fortschrittlicher Science Fiction. Sie müßte demokratische Inhalte verinnerlichen und den Finger auf die blutigsten Wunden unserer Gesellschaft legen, sie müßte sich der vorhandenen Klischees bedienen und diese Klischees transparent machen, sie könnte Satire sein, aber sie könnte auch Actionstory sein, die dem Leser allerdings die gewohnte Optik zertrümmert, weil sie Leute gewinnen läßt, die sonst immer verlieren oder weil sie die gewohnten Gewinner madig macht.
Sie könnte sich in der Gegenutopie einrichten und tagespolitisch agitieren. Umweltverschmutzung, Napalmkrieg und die immer unbewohnbarer werdenden Städte, Unterdrückung, Manipulation und Faschisierung könnten und müßten Themen sein, die darauf hoffen dürfen, im Verein mit öffentlich zugänglichen Analysen und Zuordnungen solcher Detailkritik zu gesamtgesellschaftlichen Theorien, den Blick zu schärfen und Einsichten zu vermitteln. Oder sie sollte zurückkehren zur Utopie der Altvorderen, die dem schlechten Sein eine positive
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