Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
durch die Zähne.
»Ja, gibts denn so was! Dietrich Diehl! Ich glaube es ja nicht!«
»Was glauben Sie nicht, Ostler?«
»Dass ich auf der richtigen Spur gewesen bin!«
Ostler konnte seinen Blick nicht vom Gesicht des Toten wenden.
»Ich habe schon so eine Ahnung gehabt, dass Diehl der Geiselnehmer war. Ein Esoteriker verstreut seine Fetische nicht so wahllos im Zimmer. Das sind eher spartanische Typen. Die protzen nicht mit ihren Phurbas. Ich glaube, der Diehl wollte mit seiner Spinnerei ablenken, um harmlos zu wirken. Von wegen
Tag des Zorns
. Und jetzt ist er genauso abgestürzt wie Jakobi und Prallinger.«
Ostler bekreuzigte sich.
Jennerwein massierte seine Schläfen mit Daumen und Mittelfinger. Niemand sah in der Dunkelheit sein skeptisches, nachdenkliches Gesicht. Er wandte sich an Becker, der die Fundstücke gerade in einem Koffer verstauen wollte.
»Haben Sie einen Blick auf das Dokument geworfen, Becker?«
»Nein, ich habe es, so wie es war, in die Tüte gesteckt.«
»Können Sie es mir in der Plastiktüte mal vorsichtig aufrollen?«
Jennerwein leuchtete mit der Taschenlampe auf das vergilbte Stück Pergament. Es war nur ein einziges Blatt mit ein paar Zeilen drauf. Er versuchte, sie zu entziffern. Oben waren vier Zeilen in fremdländischen, unlesbaren Lettern zu sehen, darunter vier weitere Zeilen in einer altertümlichen deutschen Schrift. Jennerwein las es laut.
Ez wuohs in Burgonden ein vil edel magedîn,
daz in allen landen niht schoeners möhte sîn,
Kriemhild geheizen. Si wart ein schoene wîp.
dar umbe muosen degene vil verliesen den lîp.
»Das ist der Anfang vom Nibelungenlied!«, rief Maria. »Was bedeutet denn das wieder? Ich verstehe das nicht: Wegen dieser vier Zeilen einer alten Sage nimmt Diehl Geiseln und bringt zwei Menschen um?«
Der Krankenwagen und der Leichenwagen näherten sich. Beide fuhren quer übers Feld.
Niemand achtete auf Motte. Motte war ein Stück weit mitgelaufen, hatte den leblosen Körper von der kleinen hölzernen Aussichtsplattform ebenfalls gesehen, war dann zu Tode erschrocken mit den Polizisten heruntergerannt und stand jetzt außer Sichtweite hinter einem Baum. Diehls Leiche wurde gerade in den Wagen gehoben. Er war so froh und erleichtert, dass das nicht sein Vater war. Es war nur Dietrich Diehl.
Kommissar Jennerwein wandte sich von den anderen ab. Er blickte in den funkelnden Nachthimmel. Ein entschlossener Zug lag in seinem Gesicht.
70
Halleluja! Ich bin potentieller Herrscher über ein kleines Stück Land genau in der Mitte Europas! Es kracht und knackt im morschen Gebälk der europäischen Einheitsarchitektur. Allerhöchste Kreise sind verdammt nervös geworden wegen der Existenz des FAVOR CONTRACTUS . Und deswegen werden sie mir viel Geld zahlen. Sehr viel Geld. Ich habe sie alle in der Hand. Ein Telefonat hatte genügt. Und jetzt bringe ich die Beweise. – Ja, es gab durchaus Schwachstellen in meinem Plan. Eigentlich nur eine einzige: Wohin mit der getragenen Kleidung auf dem Gipfel? Wohin mit den Einmalhandschuhen? Wohin mit den blutbespritzten Schuhen? Fast hätte ich das ganze Projekt aufgegeben, weil mir das Problem unlösbar schien. Doch dann habe ich die Treibsandlöcher entdeckt. Das Prinzip der Nicht-Newtonschen Fluide – genial! Ich habe mir die größte Stelle ausgesucht, dorthinein sind alle DNA -behafteten Klamotten verschwunden, sie sind tiefer und tiefer gesunken, sie sinken wahrscheinlich immer noch und sind so auch vom besten Spurensicherer nicht mehr auffindbar. Es sei denn, man würde den ganzen Berg abtragen. Gummibärchentechnisch habe ich es ähnlich gemacht. Da genügte eine ganz kleine, flache Treibsandstelle am Rand des Gipfelplateaus.
Jetzt ist auch Diehl tot. Schluss mit Chakren und Phurbas. – Schlechtlaufende Tierarztpraxis, noch schlechter laufender Esoterikahandel, verkorkstes Leben, verschuldet über beide Ohren. Und dann habe ich ihm vorgegaukelt, die Chance seines Lebens zu bekommen. Ich habe ihn zur Burgruine gelockt – und es hat geklappt! Zuerst wollte ich diese Finte mit Schorsch Meyer durchführen, aber der Idiot musste sich ja aus dem Fenster stürzen. Und dann hats nicht mal geklappt. – Also eben Diehl. Ich habe ihm suggeriert, er sei ganz allein draufgekommen, dass ich der Geiselnehmer bin, dann ist er mir wie geplant zum Versteck nachgeschlichen. – Alle meine Finten haben funktioniert: Das Tonband, das mich völlig entlastet. Die Eifersuchtskiste mit Susi Herrschl.
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