Ferdinand Graf Zeppelin
Eng aneinander gedrängt standen die Leute auf der Straße vor dem Gasthaus: für den Verkehr war schon längst kein Durchkommen mehr. Mitten auf der Echterdinger Hauptstraße herrschte inzwischen beinahe dieselbe euphorisch-patriotische Hochstimmung, wie nur wenige Stunden zuvor, als der greise Luftschiffpionier nach der erfolgreichen Landung seines Zeppelin LZ 4 auf der Filderebene unter dem Jubel der Masse als neuer Volksheld vor dem Gasthaus eingetroffen war, um sich zum Ausruhen für einige Stunden auf ein Zimmer zurückzuziehen.
»Unser Graf Zeppelin, er lebe Hoch – Hoch – Hoch!«
Hüte wurden in die Luft geworfen, württembergische Fahnen geschwenkt – der Applaus der ausgelassen jubelnden Männer, Frauen und Kinder aus allen Schichten der Bevölkerung schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Und genau wie vorher an der Unglücksstelle gelang es auch jetzt wieder einem der Filderbauern, mit Hilfe seiner Ellenbogen, die er kräftig zum Einsatz brachte, sich durch die Menschenmenge bis zu dem wie versteinert in der Eingangstür des »Hirschen« stehenden Grafen Zeppelin durchzuzwängen. Erst unmittelbar vor Zeppelin blieb er stehen und hielt ihm mit ernster Miene seine Geldbörse entgegen. »Hier, Herr Graf. Da sind fünf Mark drin. Die möchte ich Ihnen geben. Damit Sie ein neues Luftschiff bauen können. Und ich bin hoffentlich nicht der Einzige!« rief er laut über die Köpfe der Menschen.
Wieder ertönten Hurra-Rufe. Weitere Geldbörsen wurden gezückt und demonstrativ in die Höhe gehalten, als sich ein älterer Herr mit Mühe an Zeppelins Seite quetschte. Mit hoch erhobenen Händen versuchte er, die Menge zum Schweigen zu bringen. Ein schwieriges Unterfangen, doch irgendwie gelang es ihm schließlich, sich zumindest bei den vorderen Reihen bemerkbar zu machen und mit seiner Stimme einigermaßen durchzudringen. »Herr Graf! Lassen Sie sich von diesem Unglück bitte nicht beirren und schreiten Sie weiter auf Ihrem ruhmreichen Weg. Das ganze Volk steht an Ihrer Seite. Und wir alle«, damit beschrieb er eine weit ausladende Armbewegung über die Ansammlung, die mittlerweile mehrere wohl tausend Menschen umfassen mochte, »wir alle haben volles Vertrauen zu ihnen und zu Ihren Luftschiffen. Kein Mensch zweifelt ernsthaft daran, dass die Fahrt gut vollendet worden wäre, wenn nicht dieser Schicksalsschlag dazwischen gekommen wäre. Ich bitte Sie deshalb, Exzellenz, sich dem Schmerz nicht zu sehr hinzugeben, sondern getrost in die Zukunft zu blicken!«
Zunächst schien es so, als habe der Graf die Ansprache gar nicht richtig wahr genommen. Dann erst nickte er traurig in die neuerlich aufkommenden Hurrarufe hinein und hob kurz die rechte Hand, um den Leuten zu bedeuten, dass er dem Mann eine Antwort geben wolle.
»Ich danke Ihnen sehr, mein Herr. Doch anscheinend bin ich von Schicksalsschlägen verfolgt …«
»Herr Graf!« unterbrach ihn ein weiterer Zuhörer mitten im Satz. »Lassen Sie bitte den Kopf nicht hängen! Das Volk wird Ihnen ein neues Luftschiff bauen!«
»Jawohl!«
»Sammeln! Sammeln!« ertönte es jetzt aus der Menge. Und wie auf ein Stichwort warfen sie Münzen und Geldbeutel nach vorne zum Wagen, jedes Mal begleitet von einem frenetischen Applaus, wenn eines der Wurfobjekte sein Ziel erreichte.
»Sammeln! Sammeln!«
»Spenden! Spenden!«
»Ein neues Luftschiff bauen, Exzellenz!«
Die Menge schien sich gar nicht mehr beruhigen zu wollen.
Wieder nickte der alte Graf und schien vor lauter Rührung zu zittern, als er ein letztes Mal an diesem schicksalsträchtigen Nachmittag mit leiser Stimme das Wort ergriff. »Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen für Ihren Beistand in dieser schweren Stunde sehr herzlich. Ich möchte Ihnen hiermit versichern, dass ich meinen Mut nicht sinken lassen werde und meine ganze Kraft weiter für die Sache der Luftschiffe einsetzen will. Ich hoffe sehr, dass ich von Seiten des Reiches dabei dieselbe wohlwollende Unterstützung erfahren werde, wie sie mir von Ihrer Seite entgegen gebracht wird! Adieu!«
Damit stieg er in den Wagen, der rasch in Richtung Stuttgart entschwand – begleitet von tausend hoffnungsvollen Blicken und weiterhin nicht enden wollenden Hochrufen für einen am Boden zerstörten Volkshelden.
»Da kommt er: unser Graf Zeppelin! Macht Platz für seine Exzellenz!« Als strahlender Volksheld, als der weltweit bekannte und bestaunte »König der Lüfte«, dem man seine 70 Lebensjahre kaum ansah, war Ferdinand Graf Zeppelin
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