Ferien mit Biss
Menschen, die, wie jeder Vampir wusste, überhaupt nicht fliegen konnten. Mihai Tepes schlug mit dem Kopf gegen die Fensterscheibe. Er konnte es nicht fassen. Am liebsten würde er auf die Startbahn laufen, Anlauf nehmen, die Arme ausbreiten und abheben. Da würden die Fluglotsen im Tower wenigstens einmal sehen, wie man so richtig den Abflug macht. Doch Mihai Tepes durfte nicht abheben. Er hatte Flugverbot. Nicht vom Tower, sondern von viel höherer Stelle: von seiner Frau. Sie hatte sich gewünscht, dass sie alle gemeinsam nach Transsilvanien flogen. Im Flugzeug. Wenn Elvira Tepes sich etwas wünschte und ihren Mann mit ihren nachtblauen Augen ganz lange, ganz eindringlich und ganz verliebt mit leichtem Silberblick ansah, war Mihai Tepes machtlos. Dieser Blick war nicht fair, fand Mihai. Aber wunderschön.
Ludovic Lobond stand jetzt am Eingang zur Fluggastbrücke und rief die Passagiere zum Boarding auf. Er wusste nichts vom Flugverbot, von Elviras magischem Blick und vom eigentlichen Reiseziel der Tepes. Er wusste, wie man Bordkarten abriss. Das genügte für den Moment.
Was die Tepes nicht wussten, war, dass sie nicht die einzigen Passagiere aus dem Lindenweg in Bindburg waren, die nach Bistrien reisten. Sie hatten einen Verfolger. Wie ein Schatten klebte er an ihnen, aber er blieb unerkannt. Seine Tarnung war ausgeklügelt, sein Verstand haarscharf, seine Sinne hellwach. Er würde sie erbarmungslos verfolgen, er würde sie aufstöbern und dann würde er über sie richten. Doch von all dem wussten Familie Tepes und Helene nicht die Knoblauchzehe.
Ludovic Lobond riss die Bordkarte des letzten Passagiers ab. Dann schloss er das Gate. Er zog die Ärmel seines dunkelblauen Jacketts nach unten und spielte mit dem Gedanken, den Kragen hochzustellen. Er ging gelassen die Gangway entlang und federte leicht in den Knien. Er stellte sich vor, er wäre auf Mission im Dienste Ihrer Majestät. Sobald er die Boeing 737 betreten hatte, zerplatzte der Traum. Er war im Dienste der TAROM. Seine Mission: Nüsschen verteilen und Orangensaft einschenken.
Die Brutstätte
der Vampire
D irk van Kombast trat durch die Zollschleuse in den Ankunftsbereich des Flughafens Sibiu. Er setzte die große Sonnenbrille wieder auf, die er bei der Passkontrolle abgenommen hatte. Mit zwei großen Schritten stellte er sich mit seinem goldenen Rollkoffer hinter eine weiße Säule. Vorsichtig spähte er hinter der Säule hervor. Nur seine gebräunte Nasenspitze, der Rand der Sonnenbrille und ein Teil der dicken grauen Fliegermütze waren zu sehen.
Dort, ein paar Meter von ihm entfernt in der Nähe der Ausgangstür, standen sie: Familie Tepes. Seine Nachbarn. Der Grund für so manche schlaflose Nacht, für seinen Besuch beim Vampirologenkongress und für einen einwöchigen Durchfall. Herr van Kombast dachte nur ungern daran zurück.
Die Zeit der Rache war gekommen. Dirk van Kombast spürte es. Seine wohlgeformten Ohrläppchen glühten vor Vorfreude. Hier in Transsilvanien – in der Höhle des Löwens sozusagen – würde er die Vampire entlarven. Er würde beweisen, dass es sie gab. Alle Welt sollte es erfahren. Doch der Spuk sollte nicht von Dauer sein. Keiner sollte mehr unter den blutrünstigen Wesen leiden. Niemand sollte ihnen noch zum Opfer fallen. Dirk van Kombast würde die Vampire danach sofort vernichten. Für immer und alle Ewigkeit. Sie hatten seine Mutter in den Wahnsinn getrieben. Sie hatten seine Familie zerstört. Sie sollten dafür büßen.
Bis jetzt hatte Dirk van Kombast ein unauffälliges Leben geführt. Er war Pharmavertreter. Er war ein guter Pharmavertreter. Und ein besonders gut aussehender. Krankenschwestern und Ärztinnen liebten ihn. Manche Ärzte auch. Er lebte mit seinem silbernen Sportwagen, seinem Wasserbett und seinen himmelblauen Puschelhausschuhen in einer kleinen Reihenhaussiedlung am nördlichen Rand von Bindburg. Wenn er nicht gerade mit Dr. Bohne Squash spielte, im Bio-Supermarkt einkaufte oder in seiner Gesundheitszeitschrift blätterte, ging er seinem geheimen Hobby nach: der Vampirjagd.
Seit die neuen Nachbarn aus Rumänien im Haus nebenan eingezogen waren, war für Herrn van Kombast die Jagdsaison eröffnet. Auf dem Vampirologenkongress hatte er sich ein Abhörgerät gekauft und damit seine verdächtigen Nachbarn belauscht. Danach gab es keinen Zweifel mehr: Bei Herrn Tepes hatte er es mit einem blutrünstigen Vampir der übelsten Sorte zu tun. Bei den Töchtern mit bösartigen Halbvampiren der übelsten
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