Ferien mit Patricia
Dunkel, das er durchwanderte. Ohne jede Überlegung ging Jerry darauf zu, so wie eine Motte vom Licht angezogen wird. Seine Füße trugen ihn einfach dorthin. Das Licht fiel von einer abgedunkelten Straßenlaterne durch einen kleinen Schlitz auf die Straße hinab und warf durch den Regen einen sanften Schimmer auf die menschlichen Gestalten, die sich wie Gespenster vor der Autobus-Haltestelle in einer Schlange jämmerlich zusammendrängten.
Seine Augen wurden unwiderstehlich von dem Lichtkegel angezogen, der von der Lampe durch die schmale Öffnung senkrecht auf ein unbewegliches bleiches Gesicht fiel und es erhellte, so daß es sich von der Dunkelheit abhob. Jerrys Blick blieb daran haften. Seine Augen starrten durch das Dunkel und sogen sich an dem winzigen Schimmer in dem Dämmerschein fest. Er klammerte sich daran wie ein Ertrinkender, der um sein Leben kämpft. Er wagte nicht, sich zu bewegen, aus Angst, daß ihn auch hier ein Trugbild seiner quälenden Träume narrte, und starr blickte er auf das Gesicht vor ihm und suchte es mit seinem Verstand zu erkennen, denn es war das Gesicht von Pat...
Je länger er sie betrachtete, um so deutlicher trat auch ihre Gestalt aus dem Dunkel hervor, naß, unbeweglich, vom Regen aufgeweicht. Tropfen glänzten auf ihrem Regenmantel, den sie über der Uniform trug, und Tropfen glitzerten auch auf den Locken ihres nassen Haares, das unter der blaugrauen Militärmütze hervorlugte. Ja, es war Pat! Eine Sturzwelle der Wiedersehensfreudetrieb ihm das Blut schneller durch die Adern. Jeder Nerv in ihm begann sich zu regen.
Dort war es, ein bleiches Oval, das Gesicht eines einfachen und in keiner Weise außerordentlichen Menschenwesens, mit den stark gezeichneten Augenbrauen, den dunklen Wimpern, den ebenfalls nicht ungewöhnlichen, aber vertrauten Linien der Nase, des Mundes und Kinns, und doch zerriß die bloße Gegenwart dieses Wesens dort im Regen und im schwarzen Nachtnebel die Hülle der Angst und des Schreckens, ließ seine dunklen und schweren Träume ins Nichts zerfließen, rettete ihn aus seiner Verwirrung und erlöste ihn aus der Einsamkeit.
Es war, als ob ein gütiges Geschick ihn wie durch ein Wunder von der unaufhörlichen und hoffnungslosen Suche erlöst habe und er endlich an seinem Ziel angekommen sei. Denn das Gesicht und die Gestalt von Pat da vor ihm waren weder ein Wahnbild noch ein Traum. Wie ein Blinklicht, das am Ende eines Fluges voller Gefahren den Weg durch den Schrecken und die Finsternis weist, führte es ihn nach Hause, heim, in die Heimat, die nicht mehr verloren werden konnte. Dies war der Leitstern, hier konnte er für immer Schutz finden. Es war Pat, und das erstickende Gefühl in seiner Kehle, die Sehnsucht und die Einsamkeit waren von ihm gewichen. In diesem Augenblick erkannte er plötzlich, was es bedeutete, sie zu lieben und zu wissen, daß nichts mehr sein Empfinden, seine Zuneigung wandeln konnte. Keine Angst, kein Zweifel, keine Unentschlossenheit bedrängten mehr sein Herz. Einen Augenblick lang vermochte er sich nicht zu bewegen, so sehr tranken seine Augen sich an ihr satt, so sehr suchte er sie mit seinen Blicken zu durchdringen, so sehr forschte er nach jeder geliebten Einzelheit ihrer Züge.
Während er wie festgebannt dort stand, fühlte er, wie er in die Wirklichkeit zurückkehrte. Er sah wieder die Umrisse der Häuser, spürte die Berührung der ihn streifenden Menschen, roch den frischen und scharfen Geruch des Regens und hörte Stimmengemurmel und unterdrücktes Lachen.
Die Nacht, der Regen und die schmutzige Stadt gewannen plötzlich allein durch die Gegenwart von Pat eine neue Schönheit, die ihn fast zu Tränen rührte. Er war wie ein Wanderer, der nach vielen Jahren in die Heimat zurückkehrt und auf der Schwelle seines Zuhauses einen Augenblick zögert und nicht wagt, alles für wahr zu halten, nachdem er sich so lange mit brennendem Herzen danach gesehnt hat.
Plötzlich ertönte ein dumpfes Rumpeln, und ein schwacher Dämmerschein durchdrang das Dunkel, als der Bus um die Ecke fuhr und kreischend an der Haltestelle hielt. Die wartende Reihe kam in Bewegung und schob sich langsam vor. Im nächsten Augenblick mußte Pats Gesicht aus dem Lichtkegel verschwinden. Da sprang Jerry vor und rief:
»Pat... Pat...«
Als sie sich zu der vertrauten und so verzweifelt herbeigesehnten Stimme umwandte, war Jerry schon an ihrer Seite und nahm sie in die Arme und drückte sie an sich, so kalt, naß und zitternd wie in jener Nacht, als
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