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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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den Steinen, von Jamie. Alles.«
    Roger schwieg einen Moment lang. Dann wandte er sich zur Seite, so daß sich sein markantes Profil vor mir abzeichnete. Er sah auf den Bücherstapel, auf die hintere Umschlagseite, wo Franks schönes, von dunklen Haaren umrahmtes Gesicht abgebildet war.
    »Hat er Ihnen geglaubt?« fragte Roger leise.
    »Nein«, sagte ich, »jedenfalls nicht zu Anfang. Er dachte, ich sei verrückt geworden, und ließ mich sogar von einem Psychiater untersuchen.« Ich lachte kurz auf, doch als ich an die Wut dachte, die ich damals verspürt hatte, ballte ich unwillkürlich die Fäuste.
    »Und später?« Roger wandte mir das Gesicht zu. Die Röte war aus seinen Wangen gewichen; er wirkte jetzt nur noch neugierig. »Was hat er da gedacht?«
    Ich holte tief Luft und schloß die Augen. »Das weiß ich nicht.«
     
    In dem kleinen Krankenhaus von Inverness roch es nach Karbol und Wäschestärke.
    Zum Denken fehlte mir die Kraft, und fühlen wollte ich nichts. Die Rückkehr aus der Vergangenheit war weitaus angsterregender gewesen als mein Übergang, denn damals hatte mich noch ein Schutzschild aus Zweifeln und Unglauben abgeschirmt. Und die Hoffnung, daß ich einen Ausweg finden würde. Nun wußte ich nur zu gut, wo ich war, und einen Ausweg gab es nicht. Jamie war tot.
    Die Ärzte und Krankenschwestern gaben sich alle Mühe, freundlich zu mir zu sein. Sie fütterten mich und brachten mir zu trinken, aber in mir war nur Raum für Trauer und Entsetzen. Ich hatte ihnen meinen Namen genannt, aber ansonsten hüllte ich mich in Schweigen.
    Ich lag in dem sauberen, weißen Bett, legte die ineinandergeschlungenen Finger auf meinen verletzlichen Bauch und schloß die Augen. Wieder und wieder beschwor ich vor meinem inneren Auge herauf, was ich zuletzt gesehen hatte, bevor ich durch die Steine ging - das verregnete Moor und Jamies Gesicht. Insgeheim preßte ich den einen Daumen gegen die Wurzel des anderen, suchte Trost in dem kleinen Schnitt, den ich dort spürte, die eingeritzten Linien des Buchstaben J. Jamie hatte es auf mein Verlangen hin getan -
die einzige Berührung von ihm, die auf meinem Körper verblieben war.
    So lag ich lange Zeit. Manchmal schlief ich ein und träumte von den letzten Tagen des jakobitischen Aufstands - sah wieder den Toten im Wald, der unter seiner Decke aus blauem Pilz zu schlafen schien, sah Dougal MacKenzie im Dachkämmerchen von Culloden House sterben, sah die in Lumpen gekleideten Soldaten der Hochlandarmee in den Schlammgräben schlafen.
    Dann erwachte ich mit einem Schrei, stöhnte auf, roch Karbol, hörte die beruhigenden Stimmen, deren Worte ich vor dem Hintergrund der gälischen Rufe aus meinen Träumen nicht verstand. Und ich ballte die Hände zu Fäusten, begrub darin meinen Schmerz, bevor ich wieder einschlief.
    Und dann stand Frank in der Tür. Er strich sich mit der Hand das dunkle Haar aus der Stirn und sah mich unsicher an - kein Wunder, der Arme.
    Ich ließ mich aufs Kissen zurücksinken und beobachtete ihn wortlos. Er ähnelte seinen Vorfahren Jonathan und Alex Randall - die gleichen feingemeißelten, klaren, aristokratischen Züge unter dichtem, dunklem Haar. Und doch unterschied er sich auf unbestimmte Weise von ihnen. Ihm fehlte sowohl die Angst als auch die Unbarmherzigkeit. Er wirkte weder durchgeistigt wie Alex noch eiskalt und arrogant wie Jonathan. Sein schmales Gesicht war einfach nur intelligent, freundlich und, da er sich nicht rasiert und Schatten unter den Augen hatte, müde. Auch ohne eine Erklärung wußte ich, daß er die Nacht durchgefahren war.
    »Claire?« Er trat ans Bett. Seine Frage klang leise, als wäre er nicht sicher, ob ich auch wirklich die war, die er suchte.
    Das wußte ich auch nicht so genau. Trotzdem nickte ich und sagte: »Hallo, Frank.« Meine Stimme war brüchig und rauh.
    Er nahm meine Hand.
    »Geht es… geht es dir gut?« fragte er nach einer Weile. Er runzelte die Stirn, als er mich ansah.
    »Ich bekomme ein Kind.« Das schien mir in meiner Verwirrung das wichtigste. Ich hatte mir nie überlegt, was ich Frank sagen würde, sollte ich ihn je wiedertreffen, aber als ich ihn jetzt in der Tür stehen sah, wurde es mir plötzlich klar. Ich wollte ihm sagen, daß ich ein Kind erwartete. Dann würde er gehen, und ich wäre
allein mit meinem letzten Bild von Jamie vor Augen und seinem brennenden Schnitt in meiner Hand.
    Er versteifte sich etwas, ließ aber meine Hand nicht los. »Ich weiß. Das haben sie mir schon gesagt.« Er holte

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