Fest der Fliegen
Zeugen war. Verwundert registrierte sie, dass sie keine Angst um den Griechen hatte, aber um Swoboda. Das Gefühl gehörte eindeutig nicht zu ihrer dienstlichen Konzentration auf den Fall … Das Telefon unterbrach ihren Versuch, sich selbst zu befragen. Georges Lecouteux hatte das Faksimile des Bekennerschreibens erhalten und wollte wissen, ob das deutsche BKA daraus dieselben Schlüsse zog wie er. »Wir müssen Alexander sofort den Text übermitteln. Die Tatsache, glaube ich, dass diese Irren jetzt einen öffentlichen Auftritt wollen, kann auch ihr erster großer Fehler sein.« »Glauben Sie?« »Natürlich«, sagte er, »sie wollen Beifall. Und Widerspruch. Sonst hätten sie das Schreiben direkt bei Ihnen abgeliefert und nicht bei einer Presseagentur. Sie brauchen Aufsehen. Sie brauchen Zustimmung von den Rechtskonservativen in der Bevölkerung. Und öffentliche Empörung. Das kann heißen, ich sage: kann, muss nicht, aber kann, dass der Zusammenhalt in der Gruppe brüchig ist. Verfolgung von außen schweißt zusammen, wie wir wissen.« »Wir haben die dpa gebeten, es zurückzuhalten. Ob sie es tun, ist nicht klar. Auf jeden Fall decken sich einige Fakten mit dem Geständnis von Ferdinand Munkert alias Ranuccio Farnese. Törring hat versprochen, sofort mitzuteilen, wenn sie auf Thassos per E-Mail erreichbar sind. Ich schicke ein SMS an Swoboda. Gibt es Neuigkeiten von dem argentinischen Ehepaar aus der Camera Obscura?« »Nein«, sagte Lecouteux. »Ihre Wohnung wird überwacht. Wir haben ihre Flugbuchungen, sie sind in Delhi. Mehr können wir jetzt erst mal nicht tun. Wenn ich hier in Paris alle schwulen Paare schützen will, alle Mullahs und alle Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, dann ist die halbe Polizei der Stadt beschäftigt. Nicht zu reden von der blasphemischen Kunstszene. Beten wir, dass erst mal nichts passiert.« »Was sollen wir? Beten? Das tun doch diese Legionäre schon ausgiebig!« Der Commissaire lachte ins Telefon. »Dann können wir ja sehen, wer den besseren Draht nach oben hat.«
Zwischen den Pkws, die über die eiserne Schwelle des ausgelegten Fährbugs an Land rollten, trugen die Fußgänger ihr Gepäck von Bord. Auf dem Anlegeplatz standen mehrere Taxis, ein paar Abholer lehnten in der Sonne an ihren Wagen. Die Temperatur war angenehm, die Sonne brannte nicht, ein leichter Wind kam von See her. Der Fahrer, der Swoboda und Törring vom Flughafen zum Fährhafen Keramoti gebracht hatte, seine bunte Visitenkarte wies ihn als Lukas Papadimitriou aus, hatte ihnen versprochen, seinen Kollegen in Limenas anzurufen. »Er heißt Aristos Aristides, schöner Mercedes, nicht Skoda wie ich.« Während er in seinem alten Celia in halsbrecherischem Tempo zwischen den Feldern auf die Küste zujagte, trotz Doppelstreifen und Verbotsschildern überholte, unübersichtliche Kurven schnitt und den linken Arm aus dem Fenster außen an der Fahrertür im Wind schwingen ließ, erzählte er von seinen siebzehn Jahren bei VW in Wolfsburg, wo es ihm gut gefallen hatte, nicht aber seiner Frau, weshalb er nun wieder hier war, ihr zuliebe, obwohl sie in Deutschland ein besseres Leben hatten. »Sie zum ersten Mal auf Thassos?« Swoboda nickte. Er hatte auf dem Beifahrersitz vergeblich nach dem Schloss für den Sicherheitsgurt gesucht, sich schließlich mit seinem Schicksal abgefunden und in Fahrsituationen, die er als tödlich einschätzte, einfach die Lider geschlossen. Törring saß im Fond, bleich, mit aufgerissenen Augen. »Wo gehen Sie in Thassos?«, fragte Lukas gut gelaunt. Swoboda zog die Reisepapiere aus der Innentasche seines Jacketts und las ab: »Panagia.« »Ah, gut, schön! Panagia! Sehr schön! Haben Sie schon Hotel?« »Hotel Olga.« »Olga Aristides! Super! Ich kenne Olga, sie macht mit Kindern das Hotel, Eleni und Aristos, der auch Taxi, Olga sehr gut Deutsch, Kinder gut Deutsch, ich auch gut, sie viel besser!« Er lachte, schlug mit der rechten Hand auf seine Brust und hielt das Lenkrad nun nur noch zwischen den Knien fest. Swoboda wandte den Kopf ab. Als sie zu früh im Hafen eintrafen, hatten sie über Lukas Papadimitrious Sohn gehört, dass er in Berlin Zahnarzt war, dass die Tochter in Aachen einen Kinderbuchverlag betrieb, seine Frau in einer Klinik im Taunus eine künstliche Hüfte erhalten hatte und von ihm selbst, dass er trotz seiner zweiundsiebzig Jahre jeden Tag Taxi fuhr, immer auf der Strecke zwischen dem Flughafen Megas Alexandros und Keramoti. »Nicht nötig. Aber so viel Spaß. Wenn ich
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