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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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Und ich soll Ihnen nicht immer hinterherspionieren. Und ich soll –« »Nein, Turbo. Will ich überhaupt nicht sagen. Ich will nur Danke sagen. Und noch zwei Sachen. Lass bitte dieses ewige Chef, ich bin nicht mehr dein Chef. Und du solltest mich endlich duzen, ja?« »Wie Sie wollen, Chef. Ich war schon drauf und dran, umzukehren. Martina hat mich angerufen …« Törring war bleich. Er hatte zum ersten Mal einen Menschen erschossen.
    Leicester Burton nahm die Auffahrt zur Villa zu schnell, der Wagen schleuderte auf dem Kies und rutschte beim Bremsen vor dem Aufgang zur Haustür.
    In der Halle schrie er nach Salviati. Er blickte zur Galerie hinauf. Dann sah er die Leiter am Aquarium stehen. Die Türen am Unterschrank standen offen. Die Zeitschaltung hatte offenbar die Beleuchtung schon gedimmt. Wieso arbeitete Salviati um diese Zeit dort? Er näherte sich dem Aquarium und sah im Licht des Hallenkronleuchters das Gesicht hinter der Scheibe. Das war nicht Giovanni Salviati. Das war Luzifer, der auf den Korallen lag und ihn anstarrte. Petrus Venerandus schlug das Kreuz. Luzifer bewegte sich nicht. Der Großabt hielt ihm mit der rechten Hand den lateinischen Segen entgegen. Doch das Böse ließ sich nicht vertreiben. Es war ins Haus eingedrungen und hatte es in Besitz genommen. Die Engelslegion war verloren. Petrus Venerandus floh durch die Halle, durch das Refektorium, riss die Türen zur Terrasse auf und lief hinaus in den Park. Der Mond stand hoch und fast voll gerundet als weißes Licht am wolkenlosen Himmel. Burton streifte die Kapuze seiner Kutte ab und schrie nach Maria. Und während von der anderen Seite der Villa unter dem wütenden Gekläff der beiden eingesperrten Schäferhunde die ersten Polizei-wagen eintrafen und die Fassade von Suchscheinwerfern angestrahlt wurde, erblickte Petrus Venerandus endlich, wonach er sich gesehnt hatte. Aus dem Nachthimmel trat Maria in den Garten, ihre durchscheinende Gestalt wuchs im Dunkel zu ungeheurer Höhe, sie neigte den Kopf unter dem Tuch aus fließendem Licht und lächelte ihm zu. »Confiteor!« Burton sank auf die Knie und sah, wie Maria sich langsam in eine Kathedrale verwandelte.
    Er stand auf und öffnete die Flügeltür, sah, dass der hohe Innenraum voller Glanz war, gläsern bläulich, und er wusste, dass diese Kirche der Leib der Gottesmutter war, der allen Gläubigen offen stand. In einem Beichtstuhl wartete der Erzengel darauf, ihm die Absolution zu erteilen. Dort konnte er dem heiligen Michael alles anvertrauen, was in den letzten Jahren geschehen war. Er flüsterte ins Ohr des Engels und verschwieg nichts. Als er geendet hatte, sagte der Engel: »Nichts davon kann dir vergeben werden! Du bist verdammt! Der schreckliche Traum des Papstes Leo ist durch dich wahr geworden. Du selbst bist Luzifer, der in meinem Beichtstuhl sitzt und heuchelt. Vade, satana! Apage, satanas!« Petrus Venerandus spürte, wie ihm der Engel sein Urteil Satz für Satz mit Nadeln ins Gehirn nähte. Der Schmerz stieß aus dem Kopf in den ganzen Körper hinab, griff nach seinem Herzen, ein unerträglicher Druck ließ seine Augen hervorquellen, er schrie, taumelte aus dem Beichtstuhl hinaus in den Kirchengang. Doch er sah die leuchtende Kirche nicht mehr. Aller Glanz war erloschen. Er hatte eine andere Kirche betreten: die dunkle Kathedrale seines letzten Traums. Im Mittelschiff stand eine gedeckte Tafel, die vom Altar bis zum Portal reichte. Von ihr kam das einzige Licht: In den zahllosen Tellern auf beiden Seiten des Tisches brannten kleine Feuer, die den hohen Kirchen-raum düster glühen ließen. Auf Stühlen am Tisch saßen, dicht nebeneinander wie Mönche im Refektorium, schwarze Gestalten, und langsam erkannte Burton, was er sah: Es waren menschengroße Fliegen, die vor den Tellern saßen, sie neigten die Köpfe ins Feuer, um es mit ihren Mandibeln zu verzehren. Aber das Feuer aus dem Teller entzündete ihre Fresswerkzeuge und verbrannte ihre gewölbten Facettenaugen. Sie bäumten sich auf vor Schmerz, mit flammenden Gesichtern, doch sofort wuchsen ihnen neue Augen und neue Mandibeln, und wieder mussten sie sich stumm über den Teller neigen, um vom Feuer zu essen, und wieder verbrannte das Feuer ihnen Maul und Augen. Am Haupt der Tafel stand vor dem Altar der Gebieter der Fliegen. Sein Name war Baal Zevuv. Er rief Burton zu: »Nimm deinen Platz ein und iss!« Burton sah vor sich einen freien Platz an der Tafel und einen brennenden Teller. Er setzte sich. Gehorsam neigte er seinen

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