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Feucht

Feucht

Titel: Feucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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fallen. Der Sockenträger verriet sich, dass er sie immer noch ansah, und hob den kleinen Karton für sie auf. Sie strahlte ihn an, eine Sekunde länger als nötig, damit er ihr kunstvolles Augen-Make-up bewundern konnte, und deutete mit einem Schulterzucken an, es sei aber auch schwierig, die ganzen Sachen herumzubalancieren. Er lächelte ebenfalls und begann, ihr Geschichten mit heruntergefallenen Delikatessen zu erzählen, während sie zur Kasse schlenderten. Den Lautsprecherhinweis, das Geschäft werde jetzt geschlossen, ignorierte Rose genauso wie der Sockenträger, wenn einem die Welt gehört, ist das Kaufhaus samt Personal inbegriffen. Sie wartete wie selbstverständlich, während er seine Einkäufe bezahlte und ununterbrochen weiterredete, als seien sie alte Bekannte. Nur an seinem etwas zu stoßweise herausgeatmeten Lachen zwischendurch merkte Rose, dass er nervös war, und das war auch gut so. Mit einem einzigen Blick hatte sie sein Abendessen taxiert. Etwas Blauschimmelkäse, schwarzer Reis, frische Krauter, Oliven und eine gefüllte Taube, bei der Rose an der Fleischtheke auch überlegt hatte, ob sie wohl in Frage komme. Jetzt ärgerte sie sich, aber daran würde es hoffentlich nicht scheitern.
    Der Sockenträger stellte sich vor: «Von Mettmann, Friedrich von Mettmann. Und wie heißen Sie?» «Rose Weiniger», sagte Rose und hauchte das e ihres Vornamens, als sei sie sich selber nicht ganz sicher, ob es noch dazugehörte oder nicht. «Wie die Rose in Titanic?», fragte Friedrich. «Eher wie die Primel auf dem Balkon», scherzte Rose. Der von und zu lachte nicht, sondern küsste ihr die Hand. Und dann lud er sie zum Essen ein, die Einkäufe, betonte er, hielten sich ja gewiss einen Tag. Und Rose, die kluge, lehnte ab, er sollte zappeln. Aber sie erwähnte auf dem Weg nach draußen die Fernsehredaktion, wo sie zu erreichen war. Dass sie dort nicht fest angestellt war, sondern nur als Freie kleinere Rechercheaufgaben übernahm, sagte sie ihm nicht. Sollte er glauben, sie sei eine Nachrichtenredakteurin, auf dem Parkett der Welt zu Hause und bewandert in allen politischen Krisen rund um den Globus.
    Dass sie in Wirklichkeit für die «Kannibalen» arbeitete, sagte sie ihm nicht. Die Kannibalen waren etwa zehn Journalisten, die ein Magazin mit Storys belieferten, in dem es in jeder Ausgabe um ermordete Frauen, ermordete Kinder, abgetrennte Leichenteile oder Ähnliches ging. Rose war zuständig für vier bis fünf Städte, in denen sie sich gut auskannte und in denen sie die Reporterteams bei Familientragödien oder spektakulären Selbstmorden zu den Orten des Verbrechens führte. Sie zeigte ihnen die frischen Kindergräber, die Treppenstufen, auf denen noch Windlichter und kleine Teddybären standen, oder organisierte geschwätzige Nachbarn, die für ein paar Mark Sätze in die Kamera sagten wie «Das hätte ich nie gedacht», «Er war immer so ein ordentlicher Mensch» oder «Mich hat der immer freundlich gegrüßt». Diese hartgesottene Redaktion beschwatzte Friedrich von Mettmann so lange, bis sie ihm schließlich Roses Telefonnummer gaben. Rose konnte den Stolz in seiner Stimme hören, das zuwege gebracht zu haben, als er sie am nächsten Tag erreichte. Dass sie noch am Abend, an dem sie Mettmann in der Weinabteilung erstanden hatte, die Sekretärin um diese Indiskretion gebeten hatte, musste er nicht unbedingt wissen.
    Rose gab sich empört, wie das Fernsehen mit ihrer Privatsphäre umging, und von Mettmann gab sich große Mühe, sie zu besänftigen, und plauderte und scherzte mit ihr über eine halbe Stunde. Er gab sein Äußerstes, ihr eine Vielzahl an interessanten Themen zu liefern, aber Rose kannte die Männer und ihre Sprache sehr genau. Sie wusste sehr gut, dass «Du hast einen schönes Kleid an» bedeutet «Geile Brüste» und dass es bei dem Satz «Vielleicht haben Sie ja Lust, morgen Abend mit mir zu essen, ich .würde gerne für Sie kochen» in Wirklichkeit heißt «Ich will mit dir vögeln, und um das zu bekommen, koche ich sogar». Rose ließ ihn wählerisch einige Menüvorschläge machen, verlegte das Date um zwei Tage, schlug ein Restaurant vor, kam dann doch wieder auf seine Wohnung zurück, und als er schon ganz kraftlos klang, verabredete sie sich endlich mit ihm, flüsterte noch, sie freue sich auf seine schönen grauen Augen, und legte auf, bevor er reagieren konnte. Rose zog sich Hose und Bluse aus und lehnte sich in Unterwäsche auf dem Sofa zurück. Das war besser gelaufen, als sie

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