Feuer: Roman (German Edition)
katapultierte mit gewaltiger Wucht ab, schoss durch die Luft und platschte gegen die Wand. Es gab einen ekelhaften dunklen, platschenden Laut, als es dort aufschlug, und ein Regen aus feinen Blutstropfen und Partikeln organischer Substanz stob auf und benetzte sie alle miteinander, Reimann, Georg und Will selbst.
Kapitel 42
Ganz langsam und allmählich erst begriff Will, was Georg überhaupt von ihm wollte. Während ihn Reimann im festen Griff hinabgeführt hatte, war nichts weiter als Panik, Abscheu und Entsetzen in ihm gewesen, Entsetzen auch darüber, dass er sich dazu hatte hinreißen lassen, das blutende Herz aus einem schrecklichen Impuls heraus gegen die Wand zu werfen, als wäre es ein x-beliebiger Gegenstand. Erst als sie um eine Ecke gekommen waren und den steil abfallenden Gang dahinter hinabstolperten, der sie aus der Höhle hinwegführte, hatte sein eigener Herzschlag nicht mehr schmerzhafte Kapriolen geschlagen, sondern sich allmählich zu beruhigen begonnen.
Nachdem ihn die Männer aus dem Gang hinaus ein Stück weiter geführt hatten, dem Gedröhn der Kältemaschinen folgend mitten in die sich weit öffnende Höhle – die eher einer Grotte aus einem Märchen in Tausendundeine Nacht glich, in verschiedensten Farbschattierungen schillernd –, stieg seine Verwirrung eher noch, als dass sie abnahm. Es war ein so unfassbarer Anblick, der sich ihm da bot, dass er dem ersten Eindruck eine Reihe weiterer folgen lassen musste, bevor sein Verstand auch nur annäherungsweise verstand, wo er sich hier befand. Es war keine karge, dunkle Felsenhöhle, in der vielleicht noch vor zwanzig- oder dreißigtausend Jahren Neandertaler gelebt hatten, um bei einem primitiven Feuer Schutz vor Kälte und Unwetter zu finden, es war, als tauchten sie in eine komplett andere Welt ein. Die Luft war erfüllt von dem Wummern der Kältemaschinen, und der Boden bebte unter ihrer mechanischen Gewalt, aber gleichzeitig war auch ein Raunen in der Luft, das nicht im Geringsten etwas mit diesen monströsen Kühleinrichtungen zu tun hatte, sondern eher aus der Mitte der lang gestreckten Grotte zu kommen schien, von dort, wo die Nebel aufstiegen und zu ihnen herüberwallten.
Wenn Will je das Bedürfnis gehabt hätte, etwas vor ihm Liegendes als verwunschenen Ort zu bezeichnen, dann wäre es jetzt gewesen. Worte reichten gar nicht aus, um das Flirren zu beschreiben, das in der Luft lag, das Knistern und Zischeln, das überall um sie herum war wie Elmsfeuer, und den leicht süßlichen, seltsam köstlich anmutenden Brandgeruch, der von noch feuchten, exotischen Hölzern aufzusteigen schien, die hier langsam vor sich hin schwelten. Es schien, als berühre etwas unendlich Altes und Weises Wills Seele, als würde er erfasst von einer Kraft, die sich jedem bewussten Gedanken verschloss und in ihn hineinsehen könne, als wäre er ein aufgeschlagenes Buch.
Wie auf einen geheimen Befehl hin waren sie alle im Eingang der Höhle stehen geblieben, und nun war es Georg, der als Erster die Fassung wiederfand. »Beeindruckend, nicht wahr?« Seine Stimme klang belegt und gedämpft, als spüre selbst er das Unfassbare, das dieser Ort ausatmete, und könne sich wie Will auch seiner Stimmung nicht entziehen. »Nur schade, dass alle Versuche, sich diesen Ort nutzbar zu machen, gescheitert sind. Und dass er selbst nicht mehr lange existieren wird.«
Seine Worte wirkten wie ein Faustschlag mitten hinein in das strahlende Lächeln eines kleinen Kindes. Für einen ganz kurzen Moment hatte Will vergessen, warum er hier war und welch fürchterliche Dinge nur durch ein Tunnelsystem von ihnen getrennt in der letzten Stunde geschehen waren. Georg hatte ihn in seiner unvergleichlichen Art wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
»Eigentlich ist es ganz einfach«, fuhr Georg fort. »Du tust mir den klitzekleinen Gefallen, den ich von dir verlange, schnappst dir dafür Duffy, bevor die Kältemaschinen versagen – und wir alle sind glücklich.«
Georgs Worte waren nicht im Geringsten dazu angetan, Will zu beruhigen. Egal, was hier auch noch passieren mochte, Georg würde ihn nicht gehen lassen. Das konnte er gar nicht. Abgesehen von all dem Verrückten, was hier unten passiert war und vielleicht noch passieren würde: Es wäre viel zu gefährlich für ihn, einen Zeugen des bestialischen Mords laufen zu lassen.
Aber das hatte für den Moment keine Bedeutung. Ganz im Gegensatz zu dem, was vor ihm lag. In der Mitte des unterirdischen Doms war eine Senke,
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