Feueraugen I. Das Dorf
Diesmal jedoch zweifelt jeder am Organisationstalent des sonst so umsichtigen Regisseurs.
* * *
Rodolphe sitzt auf seinem auf den Boden ausgebreiteten Schlafsack und raucht eine Pfeife, um deren runden Kopf er seine Handflächen gepresst hält.
'Ganz schön kühl hier draußen!' denkt er sich. 'Aber was macht das schon. Innerlich bin ich so aufgewühlt, dass ich eigentlich schwitzen müsste. Hah, das wird ein Erlebnis! - Ob wir jetzt ein Hotel gefunden hätten oder nicht ... schlafen könnt' ich sowieso nicht. Alleine schon dieses Schloss! Von einem 'Geheimnis' - von einer alten, grausamen Sage hat der Chef geredet. Das klingt doch vielversprechend! Die Gegend hier ist ideal für so einen Plot. Schön langsam spür' ich ein Kribbeln.'
In seinen dunklen, ausdrucksvollen Augen flackert es unruhig.
Im Wagen Baldwins ist für ihn Platz freigehalten worden - neben dem Fahrer.
"Mach dir keine Hoffnungen, Cassius!" rät Baldwin diesem gerade. "Er bleibt bis Mitternacht da draußen und dann kommt er rein. Kein Mensch hält das da draußen lange aus. Es ist kalt und feucht. Irgendwann wird sogar Rodolphe in seinem Schlafsack nicht mehr zufrieden sein. Leg' dich also gar nicht erst flach!"
"OK!"Antwortet Cassius und legt sich trotzdem quer über beide Vordersitze - den Kopf auf einer zusammengerollten Strickjacke.
"Er kann dich ja wecken, falls er kommt." Zeramov gähnt sehr ausgedehnt und geräuschvoll, dann fügt er noch hinzu: "Falls er kommt!"
Baldwins Stimmung ist nicht gut. Es ist ihm anzusehen, dass er etwas sagen möchte und Zeramov fragt sich, was den zappeligen Regisseur plagt.
"Die anderen wollten wissen, was an unserem Schloss so besonders ist, dass es mich dermaßen interessiert." erklärt sich Baldwin kurz darauf. Immer wieder streicht er sich dabei eine Haarsträhne aus dem Gesicht – ein sicheres Anzeichen für seine gesteigerte, innere Unruhe.
"Verständlich, Chef! Sie würden auch nicht anders reagieren."
"Ja, ja ...!" Baldwin lehnt sich zurück und atmet geräuschvoll durch. "Ein bisschen mehr sollten sie ihnen schon erzählen. Eine Studienreise ... das klingt zwar recht interessant, aber es ist zu unbestimmt. Dass wir Material für einen neuen Film sammeln, ich meinen Notizblock vollschreiben und wir später aus dem Stoff was machen werden ... klar. Die Frage nach dem 'warum gerade hier?' bleibt trotzdem!"
Baldwin nickt schwach.
"Und was sagen Sie, wenn Sie morgen wieder gefragt werden?" forscht Zeramov. "Ich würde ihnen keine Ruhe lassen, wäre ich Ronald oder sonst einer!"
"Ich ... was soll ich denn sagen?"
"Wie wär's mit der Wahrheit, Chef?" Zeramov lacht leise. Dann beugt er sich etwas nach vorne. "Cassius, gib mir doch bitte mal 'nen Kaugummi!"
"OK!" Cassius richtet sich auf, kramt in seinen Taschen und reicht dem Drehbuchautor eine ganze Packung. Offensichtlich ist das für ihn ein Kaugummi.
"Danke!" Zeramov packt einen Streifen aus und schiebt ihn sich in den Mund.
"Schehen schie, Scheff ..." Er schmatzt und katscht ganz à la Cassius - Baldwin schüttelt verzweifelt den Kopf. "Sehen Sie Chef, wir sitzen doch alle in den gleichen Wagen. Unsere Leute sind ihnen hierher gefolgt, weil sie bisher noch nie von ihnen enttäuscht worden sind. Einen Film unter Regie J. J. Baldwins zu drehen, ist mehr als nur ein künstlerisches Erlebnis. Wir haben nicht umsonst mit jedem unserer Filmprojekte unvorhersehbare Abenteuer gehabt. Wo wir auftauchen, gibt es ein bisschen Ärger und Komplikationen – nichts läuft so ab, wie man es von einem Film-Set erwarten würde. Deshalb stehen alle treu zu ihnen, denn es ist einfach anders ... aufregend ... befriedigend. Man erwartet vielleicht Überraschungen ... aber man möchte grundsätzlich wissen, woran man ist.
"Natürlich, natürlich ... ich bin mir meiner Schuld bewusst!" stammelt Baldwin und versucht sich zu verteidigen. "Ich habe eine Sache aufgedeckt, an der viel Rätselhaftes hängt ... und? Muss ich deshalb gleich allen auf die Nase binden, dass ich diesmal einen Dokumentarfilm drehen will, der ein etwas heikles Thema hat? Außerdem ... wer weiß denn, ob es diesen Feueraugen-Orden auf Schloss Rachass wirklich noch gibt? – Wäre doch ..."
Zeramov unterbricht an dieser Stelle:
"Fassen wir doch mal zusammen, Chef: Wir haben eine alte, rätselhafte Schrift und verschiedene Dokumente, die sich mit dieser Schrift befassen. Zwei Forscher –so nenn' ich sie mal- haben den Text aus der Originalsprache
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