Feuerflut
Aberglaube ab. Als moderner Indianer gab er sich alle Mühe, derlei Unfug entgegenzutreten.
Gleichwohl hatte Charlie Trent gebeten, Schweigen zu geloben, und sich geweigert, ihn zu dem auf der Landkarte verzeichneten Ort zu führen – bis jetzt.
»Es wird wärmer«, sagte Charlie.
Trent streckte die Hand aus. Sein Freund hatte recht. Der Schneefall war stärker, und die Flocken waren dicker geworden, doch je tiefer sie kamen, desto wärmer wurde es. Außerdem roch es nach faulen Eiern. Irgendwann war der Schneefall in Nieselregen übergegangen. Er wischte sich die Hand an der Hose ab und stellte fest, dass der Nebel, den er am Grund der Schlucht bemerkt hatte, in Wirklichkeit Dampf war.
Der Ursprung des Wasserdampfs lugte zwischen den Bäumen hervor; ein schmaler Fluss plätscherte über den Grund der Schlucht.
»Riecht nach Schwefel«, sagte Charlie und schniefte. Als sie das Flüsschen erreicht hatten, tauchte er den Zeigefinger ins Wasser. »Warm. Hier muss es irgendwo eine geothermische Quelle geben.«
Trent ließ sich nicht so leicht beeindrucken. In dieser Gegend gab es viele heiße Quellen.
Charlie richtete sich auf. »Hier muss es sein.«
»Wieso das?«
»Heiße Quellen gelten bei meinem Volk als heilig. Deshalb haben sie ihre Toten gern in deren Nähe bestattet.« Charlie setzte sich in Bewegung, hüpfte von Stein zu Stein. »Los, komm. Es ist nicht mehr weit.«
Sie wandten sich flussaufwärts. Mit jedem Schritt wurde es wärmer. Die schwefelhaltige Luft brannte Trent in Augen und Nase. Kein Wunder, dass hier noch niemand gewesen war.
Trent tränten die Augen, und er hätte am liebsten kehrtgemacht, doch auf einmal hielt Charlie an einer scharfen Biegung an. Er drehte sich einmal um die eigene Achse, das Mobiltelefon wie eine Wünschelrute in der ausgestreckten Hand, dann sah er auf die Karte, die er heute Morgen aus dem Schlafzimmer seines Großvaters entwendet hatte.
»Hier ist es«, sagte Charlie.
Trent schaute sich um. Bäume, nichts als Bäume. Weiter oben blieb der Schnee liegen, doch hier unten kam nur Nieselregen an.
»Der Höhleneingang muss ganz in der Nähe sein«, murmelte Charlie.
»Oder das Ganze ist einfach nur eine alte Geschichte.«
Charlie hüpfte von Stein zu Stein ans andere Ufer und kickte ein paar Farnwedel beiseite. »Wir sollten uns wenigstens mal umschauen.«
Trent machte sich halbherzig daran, die Umgebung zu erkunden, und entfernte sich ein paar Schritte weit vom Ufer. »Hier ist nichts!«, rief er, als er vor einer Granitwand stand. »Wie wär’s, wenn wir wieder …«
Als er sich umdrehte, sah er es aus den Augenwinkeln. Es wirkte wie ein Schatten an der Felswand, doch gleichzeitig fuhr ein Luftzug durchs Tal, brachte das Geäst der Bäume zum Schwanken und versetzte die Schatten in Bewegung.
Dieser Schatten aber rührte sich nicht von der Stelle.
Lautes Platschen und ein Fluch kündigten das Erscheinen seines Freundes an.
Trent hob die Hand.
»Also stimmt es wirklich«, sagte Charlie; zum ersten Mal wirkte er unsicher.
Sie betrachteten den Höhleneingang und dachten an die Geschichten, die in Umlauf waren. Sie waren beide zu nervös, um weiterzugehen, und gleichzeitig zu stolz, um umzukehren.
»Ziehen wir’s durch?«, fragte Trent nach einer Weile.
Charlie spannte sich an. »Klar, Mann, wir ziehen das durch.«
Bevor einer von ihnen die Nerven verlieren konnte, näherten sie sich der Felswand und kletterten zum Höhleneingang hoch. Charlie nahm die Taschenlampe heraus und leuchtete in die Dunkelheit hinein. Ein steiler Gang führte in die Tiefe des Bergs.
Charlie duckte sich und trat in die Höhle. »Na los, suchen wir den Schatz!«
Befeuert von der zur Schau gestellten Tapferkeit seines Freundes, folgte ihm Trent.
Der Gang wurde alsbald schmaler, sodass sie hintereinander gehen mussten. Hier drinnen war es noch wärmer als draußen, aber wenigstens trocken, und der Gestank war erträglich.
Als er sich durch eine besonders schmale Engstelle zwängte, spürte Trent die Wärme des Granits durch die Jacke hindurch.
»Mann«, sagte er, als er die Engstelle überwunden hatte, »das ist ja eine gottverdammte Sauna hier drin.«
Charlie strahlte. »Oder eine Schwitzkammer. Vielleicht haben meine Ahnen hier drinnen ja geschwitzt. Ich wette, die heiße Quelle entspringt genau unter unseren Füßen.«
Trent gefiel das nicht, doch jetzt gab es kein Zurück mehr.
Nach ein paar Schritten mündete der Gang in einen niedrigen Hohlraum von der Größe eines
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