Feuermohn
Kassandra zu ihr eilte, sie stützte und zu einem kleinen Raum führte, in dem ein zweites Bett stand.
„Du musst dich hinlegen.“ Ihr Gesicht kam ganz nah, ihre Lippen berührten Annas Wangen. „Und etwas trinken.“ Eine eigentümlich schmeckende Flüssigkeit wurde ihr eingeflößt.
Annas Kopf schmerzte, sie konnte ihre Augen nicht offen halten. Von irgendwoher hörte sie leisen, lieblichen Gesang.
Kassandra lächelte kalt, drehte das Fläschchen, das in ihrer Hand lag, spielerisch im Uhrzeigersinn. Wie Anna auf dieses Mittelchen reagierte, hatte sie in den vergangenen Tagen regelmäßig in kleinen Dosen ausprobiert. Nun waren die Tropfen komplett zum Einsatz gekommen, halfen dabei, Annas Abreise vorzutäuschen und somit dafür zu sorgen, dass Aaron sich in Zukunft wieder mehr um sie – Kassandra – kümmerte. Ein fanatischer Glanz trat in ihre Augen.
Sie würde ihn verwöhnen wie nie zuvor. Selbstlose Hingabe, sinnliche Abende, duftende Stunden. Drinks mit einem Hauch von Aphrodisiakum, ein Liebestrank, der ihn ihr Stück für Stück näher bringen würde. So wie diese Tropfen Anna von ihm entfernten.
Sie begann schrill zu lachen. Eine seltsame Erregung erfasste sie. Die Zeit verrann, ihr gesamtes Denken verdichtete sich auf diesen einen Punkt, auf dieses eine lebenswerte Ziel. Intensiver als je zuvor.
Als sie einen Blick auf Anna warf, huschte ein befriedigtes Lächeln über ihre maskenhaften Gesichtszüge.
„Tut mir leid, mein Täubchen.“ Ihr Wispern klang böse. „Leider, leider bist du mir zu intensiv ins Gehege gekommen, du bist zu gefährlich geworden. Mit dir war es anders als mit den anderen Frauen. Du verstehst doch, dass ich das nicht hinnehmen kann?!“ Ein irres Kichern, während ihr Zeigefinger die Konturen von Annas Hals nachfuhr.
Die Hand- und Fußgelenke der Rivalin fesselte sie mit schwarzen Bändern an das Metallgitter des Bettes, zog die Fesseln energisch nach, warf einen eindringlichen Blick auf die Gestalt vor ihr. „Aaron gehört mir! Schreib dir das gefälligst hinter die Ohren.“
Sie begann eine Melodie zu summen. Mit über den Bauch gelegten Händen wiegte sie sich sinnlich, ein verzücktes Lächeln im Gesicht.
„Mein Baby, bald wirst du in mir wachsen. Ich verspreche dir, es wird nicht mehr lange dauern.“
Kapitel Vierundzwanzig
„Hast du Anna gesehen?“ Aaron steckte seinen Kopf in die Schreibstube seines Großvaters.
„Hier ist sie nicht. Vielleicht in ihrem Zimmer?!“
„Dort habe ich sie nicht angetroffen. Bisher hat sie niemand gesehen.“
„Vielleicht ist sie gestern Abend bereits abgereist. Grund genug hatte sie.“
Niedergeschlagenheit befiel Aaron. Er verfluchte sich dafür, schob dieses Gefühl dann rasch auf die Tatsache zurück, sich nicht persönlich bei ihr entschuldigen zu können. Es tat ihm leid, wie abfällig er sie behandelt hatte.
Doch die Traurigkeit blieb, verstärkte sich von Minute zu Minute.
Als ihm die Intensität dieser Gedanken bewusst wurde, erschrak er. Sich gefühlsmäßig auf eine Frau einzulassen, war nicht in seinem Lebensplan vorgesehen, und er würde es nicht zulassen, dass dieses Gefühl sein Tun und Denken beeinflusste. Niemals! Er wollte sich entschuldigen, und das Kapitel Anna dann zu den Akten legen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn er sie eine Weile nicht sähe, würde sich dieses lästige Gefühl schon von selbst verabschieden, davon war er überzeugt.
Er nahm neben seinem Großvater Platz und blickte aus dem Fenster. Es war ein heißer Tag, der Himmel war zartblau. Wie ein Blitz schoss ein Gedanke durch seinen Kopf. „Sie kann unmöglich abgereist sein. Ihre Handtasche und ihr Handy lagen auf dem Tisch in ihrem Zimmer. Nenn mir eine Frau, die ohne ihre Handtasche wegfährt. Ich werde sie suchen.“
*** Annas Augen schafften es langsam, nicht nur offen zu bleiben, sondern auch Konturen zu liefern, verschwommene Konturen, schemenhafte Schwarz-Weiß-Töne.
Ihr Kopf schmerzte, ihre Kehle war trocken, ein unangenehmer Geschmack erfüllte ihren Mund. Mühsam versuchte sie sich aufzurichten, bemerkte den Zwang der Fesseln, die sie zurückwarfen und fest in ihrer Gewalt hielten.
Es war Nacht. Sie fühlte sich orientierungslos. Eine kleine Lampe warf zitronengelbes Licht in den Raum. Sie blinzelte, versuchte sich zu erinnern, was passiert war. Gedankenfetzen stoben durch ihr Hirn, ergaben jedoch keinen Sinn. Sie hörte eine Stimme und den leisen, sehnsüchtigen Ton eines Glockenspiels, dann ein Flüstern,
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