Feuersteins Reisen
Grasbüschel, um ihm anzudeuten, dass wir den gleichen Geschmack haben, als vertrauensbildende Maßnahme. Das funktionierte tatsächlich: Er kam langsam näher und begann zärtlich an meinem Sombrero zu knabbern, dann sahen wir uns eine Weile tief in die Augen, beschnupperten uns — und plötzlich küsste er mich. So richtig voll auf den Mund. Könnte es einen schöneren Abschied geben?
Leider war damit die Liebe schon wieder vorbei. Denn als ich auf ihm in die Weite reiten wollte, wie ausgemacht, weigerte er sich störrisch und ging keinen Meter. Aber vielleicht hatte ich ihn einfach überfordert. Wir hatten uns ja gerade zum ersten Mal geküsst — und dann gleich losreiten? Macht ja bei uns Menschen auch keiner.
Wer den Film gesehen hat und darauf hinweist, dass ich in der Schlussszene doch durch die Kakteenwüste reite, dem muss ich wohl die Wahrheit gestehen: Das bin nicht ich, das ist der Besitzer des Esels. Er hatte meine Klamotten angezogen und mich gedoubelt...
Etwas anders ist die Situation bei Tieren, die essbar sind.
Ich bin, darauf habe ich schon mal an anderer Stelle hingewiesen, in meiner Speiseaufnahme weder vegetarisch noch sonstwie weltanschaulich eingeschränkt, sondern bekenne mich als praktizierender Allesfresser, allein schon aus Respekt vor der Evolution im Allgemeinen und fremden Kulturen im Besonderen. Ich verfüge zudem über eine reduzierte Ekelschwelle, esse Dinge auch noch Monate über den Ablauf des aufgedruckten Verfalldatums hinaus, kratze Schimmelschichten vom Käse und führe einen stummen, verbissenen Krieg mit meiner sonst so wunderbaren Frau, die Essbares bereits wegwirft, wenn es nur komisch riecht. Ich aber bin der Meinung, dass das Leben voller Gefahren ist, denen man sich einfach zu stellen hat. Wenn man ihnen ausweicht, reizt man sie nur unnötig, und dann suchen sie einen. Die Gefahren zu ignorieren und dadurch von ihnen übersehen zu werden, ist mit Sicherheit die bessere Taktik. Im schlimmsten Fall wird sich der Körper schon wehren — wozu gibt es Kotzen und Durchfall.
In meinem Prinzip, alles zu essen, was nicht vom Teller flieht, gibt es freilich eine Einschränkung: Ich esse nur anonymes Fleisch. Tiere, die ich persönlich gekannt habe, kriege ich nicht hinunter, auch wenn die Begegnung noch so kurz war. Ich könnte deshalb auch niemals angeln und verschmähe den schönsten Hummer, wenn ich ihn selber im Aquarium des Restaurants auswählen muss. Ich bin in dieser Hinsicht wie die buddhistischen Mönche, die niemals ein Tier töten würden, aber trotzdem Fleisch essen — mit der Begründung: Als es auf den Tisch kam, war es schon tot. Das mag üble Heuchelei sein, aber ich bekenne mich dazu. Nur ein einziges Mal, in meinem Thailand-Film, sollte ich diese Regel durchbrechen: Da esse ich Ragout von Kobra, die man vor meinen Augen geschlachtet hatte. Das war mir vor allem deshalb möglich, weil die Schlange vorher nach mir geschnappt hatte. Ich habe also nur zurückgebissen. Kulinarische Notwehr, gewissermaßen.
Wenn es in den Reisefilmen ein paarmal vorkommt, dass ich ein essbares Tier kaufe und dann freilasse, ist das zu zehn Prozent Rührungskitsch, die unumgängliche Würze der Publikumstauglichkeit, zu dreißig Prozent echte Tierliebe im Sinne des Heiligen Franz von Assisi, und zu sechzig Prozent meine ehrliche, praktische Realität: Wen ich persönlich kenne, den esse ich nicht.
In Vanuatu war es ein Kokosnusskrebs gewesen, den ich beim Chinesen freigekauft hatte. Da aber der Händler beim Filmen der Freilassungsszene zugesehen hat, muss ich davon ausgehen, dass er das Tier hinterher wieder einfing — die Sache dürfte inzwischen gegessen sein. Beim Leguan in Mexiko hatte ich dann schon dazugelernt.
Auf dem Weg von Mexiko-Stadt nach Acapulco, in der Gegend von Taxco, fährt man durch bitterarme Gebiete. Am Straßenrand stehen immer wieder Kinder und halten verschnürte Bündel hoch. Wenn man näher hinsieht, erkennt man: Es sind lebende Leguane, die Rieseneidechsen Amerikas, an den Beinen gefesselt, den Mund zugenäht. Sie können über einen Meter lang werden, manchmal braucht es zwei oder drei Kinder, so ein Tier zu halten.
Aus frisch geschlachteten Leguanen kann man eine köstliche Suppe bereiten, und so geschieht es auch an Ort und Stelle. Man hält an, wählt ein Tier aus, im Nu ist es im Kochtopf, am Straßenrand stehen Tisch und Stühle: das Leguan-Picknick. So war es in unserem Tages-Drehplan vorgesehen.
An sich wäre eine solche Szene kein
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