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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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dazu verbündet. So ließ man sie wie die Jungkühe zum Kälbertanz auf die Weide, schließlich war aus der Ferne ein Alphorn zu hören. Dass es Stunden dauern würde, bis man den Nachwuchs in einem erbärmlich verdreckten Zustand wieder zusammentreiben konnte, ahnte zu diesem Zeitpunkt verständlicherweise noch niemand.
    Denn nun geschah das Unvermeidliche, das sich wohl wie ein kollektives Unheil über alle Anhänger, Festzelte und Alphütten legte: Man begann die Vorkommnisse und die Projekte um das Justistal zu diskutieren, man suchte Verantwortliche, Schuldige und Sündenböcke, wobei die Begriffe und die mit ihnen gemeinten Personen mit jedem Schluck Kaffee fertig mehr durcheinandergerieten und mit den herumgereichten Weißweinflaschen von Stunde zu Stunde schwammiger wurden.
    Es baute sich eine ungesunde Solidarität mit Simon Abderhalden auf, und Martin Gerber, der zu spüren schien, was sich da zusammenbraute, bat Nicole und Heinrich, doch in seinem von außen nicht einsehbaren Anhänger zu bleiben, man müsse die Situation erst einschätzen, er hole Esswaren und Getränke.
    Gerber kam mit dampfenden Würsten und zwei weiteren Flaschen Weißwein zurück sowie mit dem Bescheid, es sickere durch, dass Abderhalden die ihm zur Last gelegten Verbrechen leugne. Als die Nachricht weitergereicht wurde, breitete sich über das Festgelände ein beängstigendes Raunen aus, das körperlich spürbar war. Dennoch blieb alles ruhig, denn die älteren Sennen waren besonnene Leute und machten erst ihre Arbeit, die nun hieß: hunderte von Käselaibe aus den Spychern auf das in den schüchternen Sonnenstrahlen dampfende, feuchte Holz zu legen, und zwar schnell, damit man vor dem nächsten Regenguss teilen und einpacken konnte.
    Vom Spicherberg herunter klang ein melancholisches Lied, gesungen von vielen Mündern, die alle Text und Melodie kannten, aber sich zu ganz unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Tonhöhen in den Gesang einklinkten. Es war zwar eindeutig ein Berner Volkslied, auch wenn Müller nicht wusste welches, aber Nicole erinnerte die Art des Vortrags an Lieder aus Zentralafrika, die Ethnologen in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit ihren Tonbandgeräten registriert hatten. Es gab keine Instrumente. Rhythmus, Tonhöhe, Text wurde von einem Vorsänger vorgegeben. Dies erlaubte eine freie Improvisation und führte zu sanften, beinahe ätherischen Klängen, welche die Städter in dieser Art noch nie gehört hatten.
    Heinrich wollte bereits den Anhänger verlassen, um zuzuhören, aber auch um die einem vollen Stausee ähnliche Blase zu entleeren, bevor es jemandem in den Sinn kam, mit dem aufgestauten Druck Strom zu erzeugen.
    Martin Gerber jedoch reagierte nervös. »Nimm meine Kapuzenjacke und schlag dich meinetwegen zum Bächlein am Hang durch, aber geh auf keinen Fall unter Menschen.« »Und was soll ich tun?«, fragte Nicole.
    Den anderen kam die übertriebene Sorge um die beiden Stadtberner langsam seltsam vor, auch fragte man sich, wo die Kinder blieben, als es losging.
    Und zwar trafen sich die himmlischen Elemente mit den irdischen. Vorsorglicherweise, da man das Unwetter früh hatte kommen sehen, waren die Kühe in großer Eile vor ihrer Zeit aus dem Tal gebracht worden. Es war eher ein Alpabrennen als ein –abzug, und die Tiere waren auf der Grönstraße nach Sigriswil in relativer Sicherheit, so lange keine Herde unkontrolliert davonrannte.
    Aber der Himmel öffnete nun seine Schleusen, er zeigte, was er mit Bergbächen innerhalb kürzester Zeit anstellen konnte, die Wiesen ertranken zu Sumpfgelände, Lieder und Alphörner verstummten. Und als das Festzelt von einer kräftigen Bö in die Luft gehoben wurde und wie ein nasses Leintuch auf die Besucher niedersank, brach Panik unter den Menschen aus. Nicht einmal der hinter dem Nebel verborgene Niesen gab Kraft.
    Die Stimmung war über das erträgliche Maß angeheizt, bei manchen überstieg die Alkoholkonzentration im Blut den Messbereich der Testgeräte. Und plötzlich fiel ein Schuss, den manche wohl noch mit einem letzten Krachen des Donners verwechselt hatten. Die Leute auf Gerbers Heuwagen zogen die Köpfe ein, legten sich nach Möglichkeit zwischen die Strohballen und seufzten: »Die Kinder«, bevor sie ihn Ohnmacht fielen. So musste es im
30-jährigen Krieg zugegangen sein, wenn man sich auf dem Tenn vor marodierenden Söldnertruppen versteckt gehalten hatte.
    Das Lärmen dauerte etwa eine Stunde. Dann hörte man das Schlagen von Autotüren

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