Feuerwasser
Verwesung, sondern auch für das Sterben interessiert.«
»Du vergisst die Gaffer …«, sagte Müller.
»Erinnere mich nicht an sie!«
»… die haben die Tote eventuell bewegt.«
»Kohlers eigener Tod«, resümierte Spring, »wird entweder bewirkt durch einen Unfall, also ein Ausrutschen, den Herzinfarkt oder eine gewollte, allenfalls eine ungewollte Einwirkung von außen.«
»Abderhalden hätte dafür die notwendige Zeit gehabt, als der Senn bei seiner Geliebten lag. Wenn der Politiker sich ein wenig beeilt hat, konnte er den Schwarzbrenner erschrecken, ihn zu Fall bringen und dennoch seine Kühe als Alibi vorschieben.«
»Wird Zeit, dass wir dem Mann noch einen Besuch abstatten. Morgen in der Früh«, sagte Spring. »Ich hol dich ab.«
Simon Abderhalden empfing Bernhard Spring und Heinrich Müller bereits vollständig bekleidet, als sie um sieben an seiner Haustür läuteten.
»Wollen Sie verreisen?«, fragte der Störfahnder.
Abderhalden lächelte nervös, bat die beiden herein und sagte: »Man steht früh auf bei uns auf dem Land. Die Arbeit ruft. Womit kann ich dienen?«
Er führte sie in die Küche und bot einen Kaffee an. Vor ihm stand bereits eine Tasse, aus der es neben dem schwarzen Muntermacher kräftig nach Enzian roch.
»Magenbeschwerden«, erklärte er. »Nach dem, was in den letzten Tagen alles vorgefallen ist …«
»Und die beiden Morde«, sagte Müller nüchtern, »wie belasten die das Gewissen?«
»Wovon reden Sie?« Abderhalden war erblasst, sein Mageninhalt schien sich nicht klar darüber, welchen Weg er nehmen sollte.
»Entschuldigen Sie«, sagte Abderhalden und rannte Richtung Toilette. Spring und Müller hörten üble Geräusche, dann lange nichts mehr. Sie wollten bereits nachsehen, als sie das Rauschen der Spülung vernahmen. Sie entspannten sich und warteten auf die Rückkehr von Abderhalden. Dann vernahmen sie das Schließen einer Kellertür, spitzten die Ohren, hörten einen startenden Motor und das Kreischen von Pneus. Spring fluchte und rannte zur Toilette, die von innen verschlossen war. Müller öffnete die Nebentür, die in ein Schlafzimmer führte, das durch einen weiteren Durchgang auch mit dem Bad verbunden war. Dann rannten sie selbst zu ihrem Wagen.
Sie konnten gerade noch erkennen, wie Abderhalden Richtung Justistal abbog.
»Was will er denn da?«, fragte Müller. »Das ist doch eine Sackgasse. Zu Fuß kommt er nicht weit.«
»Ich nehme an, er will über Beatenberg abhauen. Aber wohin?«
Spring organisierte einen Polizeihubschrauber. Der würde dem weißen Kombi gut folgen können, wenn er ihn in der grünen Landschaft einmal geortet hatte. Das allerdings dauerte eine Viertelstunde, während der Abderhalden, der das Gelände bestens kannte, weit kommen konnte.
Es stellte sich dann aber heraus, dass der Politiker nie eine Flucht einkalkuliert hatte, denn offensichtlich hatte er für keinen Schlupfwinkel vorgesorgt und wohl auch nicht mit einer Verfolgung durch die Luft gerechnet.
Spring fuhr bis Beatenberg auf der schmalen Militärstraße und durch den unbeleuchteten Tunnel, während der Helikopter über das Justistal flog, ohne den Wagen zu sichten. Dann entdeckte ihn der Pilot auf den Spitzkehren hinunter nach Interlaken. Abderhalden bog aber völlig überraschend und – von außen betrachtet – nicht sehr geschickt nach Habkern ab, denn in Interlaken hätte man seine Spur eher verloren.
So verblieb er zwar vorerst im Schatten des Waldes, wo er sich offenbar auch ein paar Minuten versteckt hielt, befand sich aber auf einer Straße, die er nirgends verlassen konnte. Er verfolgte seinen Weg bald wieder und durchquerte das Dorf, um mittendrin kurz vor der Post nach Bolsiten abzuzweigen. Aber bevor er die Höhe erreicht hatte, bog er nach Schwendi ab und nahm dort die gebührenpflichtige Alpstraße, auf der er ein hohes Tempo anschlug, an der Bergwirtschaft Lombachalp vorbeiraste über weite, offene Moorgebiete, bis zur Abzweigung, an der die Wanderer zum Stand fuhren, dem Autoabstell- und Grillplatz für die Hohgantbezwinger. Abderhalden hingegen nahm den Weg rechts, der sich bald als schmale Naturstraße durch den Wald zog. Es war ein verzweifelter Versuch, unter der Chemmeribodenflue nach Chemmeriboden-Bad und von dort zwischen Hohgant und Schrattenflue über Schangnau nach Marbach ins Luzernische zu entkommen.
Bei Bumbach erwartete ihn allerdings eine Straßensperre der Police Bern, die seiner Flucht ein Ende setzte.
Freitag, 26. September
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