Fey 01: Die Felsenwächter
Konzentration die Felsenwächter zum Erscheinen zwingen. Den ganzen Tag über hatte niemand das Wort an ihn gerichtet. Seit es zu regnen begonnen hatte, sprach überhaupt niemand mehr mit ihm, es sei denn, seine Leute benötigten etwas. Wie jeden Morgen überprüfte Rugar die Hüter, ohne dabei den Nye aufzuschrecken, den sie in ihrem Bann hielten. Bis jetzt war alles glattgegangen.
Genau wie er es geplant hatte.
Die Möwe kreischte wieder und stieß auf das Schiff hinunter. Mit seinen winzigen Händen hielt sich der Reiter am Hals des Tieres fest, als müßte er wirklich sein Gleichgewicht auf dem Tier halten. Reiter gaben immer vor, daß sie tatsächlich ritten, obwohl sie ja körperlich mit dem Tier verschmolzen waren. Die Möwe umkreiste Rugar, landete dann auf dem Deck und rutschte über die Planken.
Er sah auf das Wesen hinunter. Der Möwenreiter, Muce, hatte jetzt die Halsfedern des Tieres losgelassen, streckte seine Arme aus, als seien sie verkrampft, und legte den Kopf in den Nacken, bis er Rugar sehen konnte. Dann grinste der Reiter und wuchs langsam. Als er seine volle Größe erreicht hatte, glitt der Körper des Tieres in seinen Leib hinein. Die Möwe schrie kurz auf, als protestierte sie, aber ihr Schrei erstickte, als sich der Vogelkörper flach gegen Muces Magen drückte.
In seiner menschlichen Gestalt überragte Muce Rugar, aber sein breiter Körper war seltsam formlos. Sein dunkler Schopf und seine Brusthaare glichen Federn, und er hatte auffallend lange, klauenartige Fingernägel. Für einen Fey war seine Nase ungewöhnlich groß. Lang und schmal, wie ein Schnabel, reichte sie bis über seinen Mund. Zusammen mit seinen dunklen Augen und den tief herabgezogenen Brauen verlieh diese Nase seinem Gesicht einen tierhaften Ausdruck.
Obwohl er nackt war, schien er den Regen nicht einmal zu bemerken.
»Die Wächter liegen direkt vor uns«, berichtete er. Seine Stimme hatte einen nasalen Klang. »Gleich dahinter liegt die Insel.«
Rugar grinste. »Unser Zeitplan war also korrekt. Morgen gehen wir an Land.«
Muce zuckte die Achseln. Er warf mit einer schnellen, vogelähnlichen Kopfbewegung einen Blick über die vor ihnen liegende Wasserfläche. »Aus der Luft sieht es so aus, als gebe es keine Passage zwischen den Wächtern. Das Wasser schäumt hoch, schlägt gegen die Felsen und liegt dann still. Ich stieß hinab und sah Felsspalten, aber das Wasser fiel mich an wie ein wildes Tier. Ich glaube nicht, daß ein einzelnes Schiff hindurchsteuern kann, von einer Flotte ganz zu schweigen.«
»Aber irgendeinen Handelsweg muß es zwischen Nye und der Insel doch geben«, sagte Rugar.
»Vielleicht existiert noch eine einfachere Route. Die Nye haben keinen Grund, uns die Wahrheit zu sagen.«
»Niemand belügt die Fey«, erwiderte Rugar.
Muce fröstelte. Nicht vor Kälte, vermutete Rugar. Die Fey hatten ein besonderes Talent zum Foltern.
»Du mußt jetzt die anderen Möwenreiter zusammenrufen, vielleicht könnt ihr ja doch einen Weg finden, diese Felsen zu überwinden«, befahl Rugar. »Je stärker unsere Rückendeckung, desto besser. Die Schiffe müssen unbeschadet durchkommen. Die Inselbewohner haben keinerlei Kampferfahrung. Wir werden ihnen zeigen, was Krieg wirklich bedeutet.«
»Hört sich an, als wollten wir sie abschlachten«, sagte Muce.
»Es wird nur einen Vormittag in Anspruch nehmen«, antwortete Rugar. »Sobald sie erkannt haben, wie überlegen wir ihnen sind, werden sie sich ergeben. Die Wächter sind unser einziges Hindernis.«
»Gut«, sagte Muce mit zweifelndem Unterton. »Ich rufe die anderen, und wir werden sehen, ob wir etwas entdecken.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, reckte er die Arme und schrumpfte wieder zu seiner Möwengestalt. Als die Möwe erneut an seinem Bauch erschien, beendete sie ihren Schrei, der vorhin während der Verwandlung unterbrochen worden war. Das Tier trippelte rückwärts und erhob sich wieder in die Lüfte. Muce griff ihr in die Halsfedern und flog davon, ohne Rugar einen weiteren Blick zu gönnen.
Schon bald war der Möwenreiter in den schweren Regenwolken außer Sicht. Rugar beobachtete mit geballten Fäusten, wie er verschwand. Hoffentlich entsprach das, was er Muce gesagt hatte, der Wahrheit. Seit die Schiffe auf hoher See waren, hatte er keine Visionen mehr gehabt.
Er hatte damit gerechnet, vor dem jetzigen Zeitpunkt Visionen zu haben. Er hatte geglaubt, seine Visionen würden durch die näher rückende Insel an Kraft gewinnen oder zumindest seine
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