Fey 02: Das Schattenportal
wie ich. Was für erbärmliche, wertlose Träume, mein Junge.«
»Ich bin kein Junge. Ich bin ein erwachsener Mann.«
»Du bist ein Junge«, sagte Caseo. »Du hast deine Macht noch nicht entfaltet. Das glaubst du doch, oder?«
»Ich bin mit Macht und Fähigkeiten ausgestattet«, gab Fledderer zurück. »Ich bin nicht weniger Fey als du.«
Caseo grinste. »Und was für eine Art von Macht soll das sein, mein Junge?«
»Ich bin stärker als du. Und ich habe mehr Ausdauer als du. Ich verfüge über körperliche Fähigkeiten, wohingegen deine Fähigkeiten im Bereich der Magie liegen. Ich bin genausoviel wert wie du.«
Caseos Grinsen verwandelte sich in ein herzhaftes Glucksen. »Wenn du stark oder achtbar wärst, dann würdest du zumindest der Infanterie angehören. Du bist nichts, mein Junge. Überhaupt nichts. Dein Name paßt sehr gut zu dir – Fledderer, eine Kreatur, die die Toten beraubt. Wir haben schon ein Dutzend Kulturen erobert, mein Junge, und keine von ihnen ist besonders von den Leuten angetan, die mit Leichen arbeiten. Nur die Ausgestoßenen und Wertlosen legen Hand an die Toten.«
Mit zitternden Händen band Fledderer die Beutel von seinem Gürtel los. Sie fielen mit einem dumpf platschenden Geräusch auf den Boden, doch keiner von ihnen zerplatzte. »Ich mache deine Arbeit überhaupt erst möglich«, sagte er. »Ohne mich und die anderen Rotkappen wärt ihr nicht in der Lage, eure schändlichen Zauber auszuführen. Ihr wärt nichts.«
Einen Augenblick lang verblaßte Caseos Lächeln. Fledderer dachte schon, er hätte ihn erwischt. Dann nickte Caseo und streckte eine Hand aus. »Hättest du nicht Lust, deine Theorie einer Prüfung zu unterziehen – daß du ebenso ein Fey bist wie ich?«
Fledderer blickte auf Caseos Handfläche. Keine einzige Schwiele. Die Fingernägel waren gefeilt und poliert. Der Mann hatte in seinem ganzen Leben noch keine körperliche Arbeit verrichtet. Fledderer legte die eigenen Hände auf den Rücken. »Was verlangst du von mir?«
»Folge mir«, sagte Caseo. »Und bring die Beutel mit.«
»Nein«, sagte Fledderer. »Jemand anders soll die Beutel tragen.«
»Du bist eine Rotkappe«, erwiderte Caseo. »Was auch immer geschieht – jeder von uns muß seine Aufgabe erledigen.«
Die Bemerkung trieb Fledderer die Schamesröte ins Gesicht. Er bückte sich und hob die Beutel an ihren zusammengebundenen Enden an. Sie zogen schwer an seinen Armen; normalerweise trug er sie immer an der Hüfte, was ihm inzwischen so vorkam, als gehörten sie zu ihm. Aber er sagte nichts und stieg hinter Caseo her die Treppe zum Haus der Zauberwächter hinauf.
Er war schon oft in dem Haus gewesen, doch noch nie hatte man ihm erlaubt, sich länger darin aufzuhalten. Die anderen Hüter hockten um einen Tisch herum, und bis auf den, der ihm am nächsten saß und die Nase rümpfte, als er an ihm vorbeiging, schienen sie Fledderer nicht einmal wahrzunehmen. Caseo zeigte auf die gegenüberliegende Wand, wo die anderen Blutbeutel aufgeschichtet übereinanderlagen. Fledderer setzte seine Beutel darauf.
Es war heiß und stickig in dem Hauptraum. Im Kamin brannte ein mit viel zuviel Holz bedecktes Feuer – eine Vergeudung und ein Verbrechen, wenn es noch immer Fey gab, die in überfüllten Gebäuden ohne Heizung auf dem Boden schlafen mußten. Die Hüter, auch die Frauen unter ihnen, waren ausnahmslos knochige, kahl werdende Wesen, deren Augen Dinge jenseits der einfachen Freuden des Alltags sahen. Fledderer lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sich mit einem einzelnen Hüter zu streiten war eine Sache; sich der ganzen Truppe gegenüberzusehen war etwas völlig anderes.
Alle hatten die Hände unter dem Tisch, und sie trugen trotz der Hitze alle schwere Mäntel. Fledderer schien der einzige zu sein, der schwitzte. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Es verlangte ihn nach einem Glas Wasser, doch er wußte, daß sie ihm nichts anbieten würden.
Mitten auf dem Tisch stand eine Schüssel mit Wasser, daneben ein geöffneter Blutbeutel. In einer anderen Schüssel schwamm ein Streifen Haut in rosafarbenem Wasser. Es war frische Haut, frischer als alles, was er heute abgezogen hatte.
»Was hast du vor?« erkundigte sich Fledderer.
Alle Wächter blickten Caseo gleichzeitig an. Es sah aus, als verfügten sie über keinen eigenen Willen, obwohl Fledderer sehr wohl wußte, daß das Gegenteil der Fall war. Er war mit jedem einzelnen von ihnen auf den Schiffen zusammengetroffen, hatte mehr als einmal mit
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