Fey 02: Das Schattenportal
beten. Aber trotz dieser Überlegung begann sein Herz heftig zu klopfen.
Er ging jetzt langsamer, damit er überprüfen konnte, ob wirklich alle Bänke leer waren. Er wünschte, er trüge ein Fläschchen Weihwasser in der Tasche seiner Robe, wie er es zu Beginn des Krieges immer getan hatte. In letzter Zeit war er nachlässig geworden; so lange hatte er schon keinen Fey mehr gesehen, und nur die Toten erinnerten ihn daran, daß sich sein Land im Kriegszustand befand.
Als er die Stufen erklomm, ging sein Atem stoßweise. Seine Nackenhaare sträubten sich. Der viereckige Altar, der die Spuren von Hunderten geweihter Schwerter trug, war leer, aber auf dem Teppich davor war ein dunkler Fleck, als hätte jemand Wasser verschüttet und vergessen, es aufzuwischen.
Matthias kniete sich hin und berührte den Fleck. Er war noch feucht. Matthias hielt sich die Finger unter die Nase und zuckte zusammen. Blut. Genau wie er vermutet hatte.
Rasch blickte er sich um, um sicherzugehen, daß er immer noch allein war. Er sah niemanden, aber das mußte nichts heißen. Dumm, zu dumm von ihm, nicht sofort Hilfe geholt zu haben, gleich nachdem er den Geruch wahrgenommen hatte.
Matthias schluckte und lehnte sich in der Hocke zurück. Jetzt hatte er wenigstens einen Grund, Alarm zu schlagen. Er wollte gerade aufstehen, als er etwas neben einem Stuhlbein erspähte. Er streckte die zitternde Hand aus und ergriff den Gegenstand – und hätte ihn fast wieder fallen gelassen. Er war glatt und weiß, aber noch immer feucht, als hätte jemand ihn abgewischt. Matthias behielt ihn in der Hand und hob ihn dicht vor die Augen. Ein Knochen. Ein kleiner Knochen. Wie vom Finger eines Menschen.
Jetzt zitterte er noch heftiger. Er setzte sich in einiger Entfernung von dem Blutfleck auf den Teppich und musterte das restliche Gewebe. Kein Blut, keine Knochen. Wer auch immer den Fleck verursacht hatte, er hatte versehentlich ein Beweisstück vergessen.
»Matthias?«
Matthias erschrak so, daß er beinahe aufgesprungen wäre, aber er zwang sich, sitzen zu bleiben. Er kannte diese Stimme. Sie gehörte Andre, einem der Ältesten. »Hier bin ich«, rief Matthias und ließ den Knochen in seine Tasche gleiten. Diese Überraschung würde er sich für später aufheben, wenn er sich entschieden hatte, was zu tun war.
Andre kam denselben Gang entlang wie vorher Matthias. Matthias’ Kehle wurde wieder trocken. Er hatte nicht gehört, daß jemand die Tür geöffnet hatte. Vielleicht hatte er sich zu sehr auf seinen Fund konzentriert. So mußte es gewesen sein.
»Riecht Ihr etwas?« fragte er Andre.
Der Älteste blieb stehen, schnupperte und schüttelte den Kopf. »Kerzen und ein bißchen zu viel Bohnerwachs. Sonst nichts.«
Matthias runzelte die Stirn. Hatte er einen so viel feineren Geruchssinn als der andere? Das kam ihm merkwürdig vor. »Was macht Ihr eigentlich hier?«
»Dasselbe könnte ich Euch fragen«, erwiderte Andre. »Ich habe noch nie gesehen, daß jemand sich auf den Boden setzt, um zu beten.«
Wieder unterdrückte Matthias den Drang aufzustehen. Andre machte ihn immer nervös. Im Vergleich zu Matthias’ schülerhafter Gläubigkeit wirkte seine Frömmigkeit immer so rein. Genauso irritierend war seine Beschränktheit und noch mehr seine neuerdings geschlossene Freundschaft mit dem Rocaan.
»Kommt her«, wiederholte Matthias.
Andre trat näher. Seine Schuhe quietschten auf dem gewachsten Boden. Matthias’ Füße waren kalt. Er fror am ganzen Körper. Andre ging neben ihm in die Hocke.
»Was habt Ihr hier gemacht?« fragte er.
Verärgert gab Matthias zurück: »Nichts. Ich habe das hier gefunden. Faßt es an.«
Andre streckte einen Finger aus und berührte vorsichtig den Teppich. Er verursachte ein leises, schmatzendes Geräusch. Er blickte Matthias verwirrt an, dann hielt er den Finger an die Nase und schnüffelte. »Blut«, flüsterte er. »In der Sakristei?«
Matthias nickte. »Wir müssen herausfinden, was hier passiert ist. Ich möchte, daß Ihr die Dienerschaft, die Auds und die Daniten versammelt, die hier ihre Arbeit verrichten. Ich werde mit dem Rocaan sprechen und die Ältesten zusammenrufen. Wir müssen überprüfen, ob jemand etwas gesehen hat und ob jemand fehlt.«
Andre wischte seinen Finger an einem sauberen Stück Teppich ab, als könne er das Blut auf seiner Haut nicht länger ertragen. Matthias beobachtete ihn und fragte dann: »Habt Ihr etwas gesehen?«
Andre zuckte zusammen, als hätte er diese Frage nicht erwartet.
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