Fey 02: Das Schattenportal
verbeugen.
Nicholas achtete darauf, daß seine Verbeugung tief und respektvoll ausfiel. Noch während er sich aufrichtete, sagte er: »Ich bitte um Verzeihung, Heiliger Herr, aber mein Vater ist der Meinung, daß die beiden Oberhäupter der Blauen Insel, solange die Bedrohung durch die Fey noch anhält, sich nicht gleichzeitig in einem Raum aufhalten sollten.«
Eigentlich hatte er eine huldvolle Bemerkung als Antwort erwartet, doch der Rocaan sagte nichts. Matthias warf Porciluna einen Blick von der Seite zu, als fände auch er dieses Verhalten eigenartig.
»Mein Vater trug mir auf, ihm alle Eure Worte zu berichten, Heiliger Herr.«
»Euer Vater hat die Zeit und den Ort für dieses Treffen gewählt«, sagte der Rocaan. Seine Stimme war schwach und zittrig. Das war nicht mehr die kräftige Sprechstimme, die Nicholas vor einem Jahr vernommen hatte. »Er hätte mich davon in Kenntnis setzen sollen, daß er nicht kommt.«
»Jawohl, Heiliger Herr«, erwiderte Nicholas. Seine Schultermuskeln verkrampften sich. »Aber er befürchtete, daß Ihr in diesem Fall zu ihm gekommen wärt. Seiner Meinung nach ist es am besten …«
»Daß wir uns nicht treffen.« Der Rocaan nickte. »Ich halte seine Meinung für falsch. Wir müssen in Kontakt miteinander bleiben. Aber er hat Angst. Eine Angst, die ich sehr wohl verstehe.«
Nicholas wollte die Behauptung schon zurückweisen, doch dann erkannte er, daß der Rocaan sie seinerseits zur Eröffnung der Unterhaltung benutzte. »Ihr, Heiliger Herr? Aber Ihr habt Gott und den Heiligsten an Eurer Seite.«
»Wir alle haben Gott an unserer Seite, junger Mann«, erwiderte der Rocaan. Dabei drehte er sich zu Matthias um, als könne er nicht glauben, daß Nicholas das nicht wußte. Matthias warf dem Rocaan ein verlegenes Lächeln zu, das, sobald der Rocaan seine Aufmerksamkeit wieder Nicholas zuwandte, kalt und starr wurde.
»Mein Vater sagt, Ihr habt ein dringendes Anliegen …«, fuhr Nicholas fort, doch der Rocaan hob die Hand.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich überlege nur noch, ob ich mit Euch darüber reden soll.«
Nicholas richtete sich auf. Das reichte. Der König regierte den Staat, und er entschied, ob sich sein Sohn mit den Kirchenoberhäuptern traf oder nicht. Wenn ihn der Rocaan jetzt vorführte, würde er es auch versuchen, wenn Nicholas König war. »Ich bin der Thronfolger«, sagte Nicholas. »Ich bin derjenige, mit dem Ihr es auch in Zukunft zu tun haben werdet. Ihr mögt Euch ebensogut jetzt schon daran gewöhnen.«
Den ehrerbietigen Titel ließ er weg. Der Rocaan schien es nicht einmal zu bemerken. »Ich bin mir nicht sicher, ob wir es miteinander zu tun haben werden, junger Mann«, sagte er. »Aber momentan sehen wir uns mit einem Dilemma konfrontiert, das ich eigentlich lieber mit jemandem diskutiert hätte, der mehr Lebenserfahrung als Ihr vorzuweisen hat.«
Nicholas klappte den Mund auf und wieder zu. Er wollte sich nicht verteidigen. Das wäre das allerschlimmste, aber er wußte auch, daß dieser alte Mann ihn bei den Rocaanisten lächerlich machen konnte. Das letzte, was sich Nicholas wünschte, war, schon so früh in seinem Leben als Schwächling abgestempelt zu werden.
»Ihr steckt voller Vorurteile, alter Mann«, sagte Nicholas schließlich.
Sowohl Matthias als auch Porciluna strafften die Oberkörper. Offensichtlich beleidigten nicht einmal sie den Rocaan gelegentlich. Der Rocaan legte den Kopf zur Seite, als lauschte er Nicholas’ Kommentar fasziniert nach.
»Vorurteile, junger Mann?«
Nicholas nickte. »Ihr habt zweifellos für Euch beschlossen, daß ich Eures Vertrauens nicht würdig bin, und das, obwohl mein Vater mich an seiner Statt hierher entsendet. Nun muß ich entweder annehmen, daß Ihr meinem Vater gegenüber Respektlosigkeit bezeugt – was Ihr, davon bin ich überzeugt, niemals tun würdet –, oder aber ich nehme Euch beim Wort und glaube, daß Ihr lieber mit einem Älteren sprechen würdet, ausgehend von der Annahme, Ältere seien auch weiser. So lautet natürlich die vorherrschende Meinung. Dabei vergeßt Ihr aber, Heiliger Herr« – er achtete darauf, daß der Titel mit einem Anflug von Sarkasmus ausgesprochen wurde –, »daß mein Vater mich nicht an seiner Statt entsandt hätte, wenn er nicht ganz und gar an meine Fähigkeiten glaubte, mit jeder erdenklichen Situation fertig zu werden.«
Nicholas’ Worte hallten von den goldenen Wänden zurück. Sein eigener Glaube an den Vater war erschüttert worden, nachdem er herausgefunden
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