Fey 05: Der Schattenrpinz
erlebt: in ihren erbärmlichen Hütten in den Wäldern und als mörderische Furien.
Beides hatte ihn erschreckt, aber seine Angst hatte ihn nicht überwältigt. Genau wie Matthias glaubte auch Titus, daß es sich bei den Fey um wahre Dämonen handelte. In den Geschriebenen und Ungeschriebenen Worten stand, daß jene, die Gottes Macht ohne Gottes Einverständnis beanspruchten, Dämonen waren, Geschöpfe aus dem Niemandsland, deren einziges Ziel darin bestand, Gott in dieser Welt zu besiegen. Dieser Glaube galt inzwischen als veraltet, obwohl er in den Worten geschrieben stand. Niemand hatte die Dämonen gesehen, und alle hielten diese Ansicht für eine Metapher, mit der jene beschrieben wurden, die sich Gottes Wort nicht beugten. Es gab jedoch immer noch einige Gegenden auf der Insel, wo diese Worte ihre Bedeutung nicht verloren hatten: Wurden in den Schneebergen Kinder mit dämonischem Aussehen, dämonischer Körpergröße oder dämonischem Augenglitzern zur Welt gebracht, so überließ man sie in den Bergen dem sicheren Tod.
Das war ein alter, barbarischer Brauch, aber dem Tabernakel war es bis jetzt nicht gelungen, ihn abzuschaffen.
Wie ein Junge zog Titus die Knie unters Kinn und umschlang sie mit den Armen. In den langen Stunden der stummen Betrachtung hatte ihn die Unruhe nicht verlassen. Vielleicht hätte er auf Stowe hören sollen. Titus hatte seine Schwierigkeiten damit, Nicholas zu akzeptieren. Nicholas, der versucht hatte, selbst die Position des Rocaan einzunehmen. Nicholas, der eine Dämonin geheiratet und Dämonenkinder gezeugt hatte.
Nicholas, der die Fey liebte.
Wie konnte ein Mann, der die Fey liebte, gegen sie kämpfen?
Und doch hatte der Rocaan nur Anspruch auf die geistliche Führerschaft, es war nicht seine Aufgabe, die Krieger in den Kampf zu führen. Matthias hatte zwar geglaubt, beides gehöre zusammen, aber Titus war anderer Ansicht. Darin war er dem Fünfzigsten Rocaan ähnlich, der an die Sanftmut geglaubt hatte.
Ein Mann, der an Sanftmut glaubte, und ein König, der die Fey liebte, sollten gemeinsam eine Armee von Eroberern bekämpfen? Das war unmöglich.
Und doch mußte es sein.
Titus schluckte. Bis jetzt war er auch noch nicht dazu gezwungen gewesen, Weihwasser als Waffe herzustellen. Er konnte den Gedanken daran kaum ertragen. Als er damals zum Rocaan ernannt wurde, waren die Kampfhandlungen bereits beendet gewesen. Er hatte das Weihwasser seither nur für das Mitternachtssakrament benutzt.
Titus war sich nicht sicher, ob er es wirklich fertigbringen würde, Weihwasser herzustellen und dann zu beobachten, wie es Menschen tötete. Zu diesem Schluß war er heute nacht gekommen. Seine Wut auf Stowe hatte ihre Wurzeln nicht nur in seiner Abneigung gegen Nicholas, sondern auch in seiner Angst, benutzt zu werden, gezwungen zu sein, mit allerheiligsten Substanzen Leben zu vernichten, anstatt es zu retten.
Der Fünfzigste Rocaan hatte sich schließlich widerwillig gefügt. Der Einundfünfzigste hatte sich dieser Aufgabe mit Eifer gewidmet.
Auch Titus würde es tun müssen, um die Existenz seines Volkes zu retten.
Aber er konnte überhaupt nichts ausrichten, wenn er hier nur herumsaß. Sollte es sich nicht um eine bloße Palastintrige handeln, sollten die Fey wirklich auf der Insel gelandet sein, dann mußte er unbedingt etwas unternehmen.
Zu dieser Einsicht war er heute nacht immer wieder gekommen. Vielleicht schwieg die leise, ruhige Stimme nur und hatte seinen Überlegungen insgeheim einen Anstoß gegeben. Vielleicht lenkte sie ihn unmerklich in eine Richtung, sorgte dafür, daß der Gedanke ihn nicht mehr losließ.
Titus blickte auf. Das Schwert war eine Waffe und symbolisierte den allerheiligsten Moment des ganzen Rocaanismus. Es war das Symbol für das Opfer des Roca. Als der Roca den feindlichen Soldaten gegenüberstand, bat er seine eigenen Soldaten, die Waffen zu senken. Dann reinigte er sein Schwert mit Weihwasser. Der Soldat des Feindes nahm das Schwert und erstach den Roca, und der Roca wurde in Gottes Hand Aufgenommen, wo er jetzt saß und über sein Volk wachte.
Eine Waffe und ein Symbol.
Genau wie das Weihwasser.
Titus blieb keine Wahl. Er war jetzt der Rocaan. Er mußte über das spirituelle Wohl seines Volkes wachen, und manchmal hieß das auch, dessen Leben zu schützen. Er konnte nicht darauf vertrauen, daß Nicholas diese Aufgabe übernahm. Nicholas hatte bereits bewiesen, daß er wenig davon verstand, wie wichtig das spirituelle Wohl seines Volkes
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