Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
das Weihwasser einem Wehrlosen entgegengeschleudert, einem hilflosen Mann hinter Gittern, der Matthias nicht einmal berühren konnte.
Einem Fey.
Der aber vielleicht genug Zauberkraft besaß, um ihn trotz der Gitterstäbe zwischen ihnen anzugreifen.
Wenn du an Gott glaubtest, hatte Nicholas gesagt, würdest du ihn nicht als Vorwand für einen Mord mißbrauchen.
Vorwand für einen Mord.
Mord.
Wieder preßte Matthias die Hand auf die Stirn. Sein Kopf schmerzte so heftig, als müßte er gleich explodieren.
»Wann hat der Roca das gesagt?« fuhr er Pausho an. »Wann hat er die Bewohner von Constantia angewiesen, ihre eigenen Kinder zu töten? Erst unmittelbar vor seiner Aufnahme hat er die Herrschaft zwischen seinen Söhnen aufgeteilt. Wie hätte er in so kurzer Zeit etwas so Abartiges befehlen können? Und wie bringt es jemand fertig, einem solchen Befehl Folge zu leisten?«
»Du als Rocaan kennst dich so schlecht in der Geschichte deiner eigenen Religion aus?« gab Pausho seine Frage zurück.
Sie grinste ihn an, als sei er verrückt. Matthias blinzelte, so unerträglich waren sein Kopfschmerzen. Jeder Pulsschlag hämmerte in seinen Schläfen.
»Ich kenne alle Lehren des Tabernakels«, verteidigte er sich, »und nicht nur die. Ich habe mich ausführlich mit den alten Legenden beschäftigt.«
»Nur die echten Worte hast du nie zu Gesicht bekommen.«
Matthias runzelte die Stirn. »Sie wurden bei einem der Religionskriege zerstört.«
Pausho schüttelte verneinend den Kopf. »Sie befanden sich die ganze Zeit hier in Constantia.«
»Ja, sie existieren noch immer«, bestätigte Tri. Er stand unverändert nah neben Matthias und hatte die Unterhaltung bis jetzt schweigend verfolgt. Als müßte er Matthias beschützen. Als brauche Matthias Schutz.
»Hast du sie denn gesehen?« fragte Matthias erstaunt.
»Als Weiser hätte ich das Privileg gehabt, sie zu lesen. Aber ich bin nie dazu gekommen.«
Matthias schluckte. Das orangefarbene Licht der Feuerbälle verblaßte. Der Rauch verzog sich allmählich. Der Wind hatte aufgefrischt.
»Du hast die Gelegenheit ungenutzt gelassen, ein so wichtiges historisches Dokument zu studieren?«
Tri zuckte die Achseln. Matthias blickte ihn ungläubig an. Konnte Tri womöglich überhaupt nicht lesen?
Wie dem auch sein mochte: Für Matthias zählte jetzt nur, daß er seine verwirrten Gefühle ordnen, seine unerträglichen Kopfschmerzen loswerden und die Verfolgung der Fremden aufnehmen mußte.
»Die Worte, die du studiert hast, sind unvollständig«, beharrte Pausho. »Hier in Constantia besitzen wir die vollständige Fassung. Der Roca wurde Aufgenommen. Aber nach zwanzig Jahren ist er zurückgekehrt.«
Jetzt mußte Matthias aber doch lachen. Sie hatte ihn die ganze Zeit an der Nase herumgeführt.
Pausho rührte sich nicht. Sie sah wieder aus wie jener alte Danite. Und noch wie jemand anders: Matthias’ Geschichtslehrer an der Religionsschule, auf die ihn der Tabernakel geschickt hatte.
Die Schule, in der Matthias Nicholas’ Vater, Alexander, begegnet war. Die Schule war dem Tabernakel angegliedert, und Alexander und Matthias waren Freunde geworden.
Gute Freunde.
Auch Alexander hatten die Fey auf dem Gewissen.
»Der Roca ist zurückgekehrt«, wiederholte Pausho.
»Ein Toter kann nicht zurückkehren«, widersprach Matthias.
»Der Roca schon. Er kehrte zum Ort seiner Geburt zurück und unterrichtete die Bewohner von Constantia. Damals hat er auch die Worte niedergeschrieben.«
Obwohl die Luft von den Feuern noch warm war, überlief es Matthias kalt. Diese Frage hatte ihn während seiner ganzen Studien nicht losgelassen. Er hatte sich immer gefragt, wer eigentlich die Worte niedergeschrieben hatte.
Und warum.
»Du lügst«, flüsterte er. »Du lügst, um mich zu verwirren. Du lügst, weil du mich immer gehaßt hast.«
»Ich hasse dich nicht, Matthias«, versicherte Pausho. »Ich glaube, daß du einfach böse bist. Das ist eben deine Natur. Schuld daran ist die Magie, die der Junge in dir wachrufen wollte. Sie zerfrißt dich innerlich. Du bist ein Wrack.«
»Aber du hast selbst zugegeben, daß auch der Roca solche Fähigkeiten besaß. Dann müßte auch der Roca böse sein«, folgerte Matthias.
»Der Roca war von Gott gesandt«, sagte Pausho.
»Aber du hast doch vorhin gesagt, daß ich dieselben Fähigkeiten besitze.« Matthias verstand Pausho nicht. Oder lag es an seinen Kopfschmerzen? »Wenn das so ist, dann bin auch ich von Gott gesandt.«
»Da war der Roca«,
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