Fia die Betoerende
einmal sehen.“
„Ist sie hier? Wo?“ Pip wandte den Kopf in alle Richtungen.
„Da oben, Junge“, bemerkte Robbie. „Sie schaut von Comptons Loge aus zu. Oder besser gesagt, stellt sie sich zur Schau.“
„Oh!“ Johnston grinste. „Stell dir mal vor, wie sehr das die anderen anwesenden Schönen ärgern muss. Keine von ihnen hält einem Vergleich stand.“
„Der Schwarze Diamant?“ fragte Thomas, ohne nach oben zu sehen. In London gab es unzählige erstklassige Kurtisanen, die sich interessanter Beinamen erfreuen durften. Unglücklicherweise waren diese in der Regel auch schon das Interessanteste an ihnen.
„Sie hat etwas Fesselndes an sich. Aber was genau ist das nur?“ überlegte Robinson laut. „Sie benutzt keinen der üblichen Kniffe. Keine Fächer, keine vieldeutigen Seitenblicke und kein neckisches Schmollen . . . ich will verdammt sein, wenn ich weiß, wie sie das anstellt.“
„Und das werden Sie auch nie, Robinson“, erklärte ein Witzbold hinter ihnen gedehnt. „Erfahren, wie sie das macht, meine ich. Noch nicht einmal dann, wenn all Ihre älteren Brüder sich die Mühe machen würden zu sterben. Ein einfacher Viscount ist für die Dame nicht gut genug. Sie brauchen wenigstens eine Krone, um aus erster Hand herausfinden zu können, wie sie das macht.“
Mit dieser anzüglichen Bemerkung erntete er raues, etwas verlegenes Lachen von den einen und kühle Verachtung von den anderen. Außer von Pip. Die glatten, weichen Wangen des Jungen färbten sich dunkelrot.
„Lord Tunbridge!“ rief er und blickte den Mann hinter ihnen drohend an. „Ich verlange eine Entschuldigung im Namen der betreffenden Dame.“
Gütiger Himmel, dachte Thomas und schloss gereizt die Augen, erspare mir beleidigte Grünschnäbel. Von allen Männern, die der Junge sich hätte aussuchen können, um einen Streit über die Tugend eines leichten Frauenzimmers vom Zaun zu brechen, hatte Pip mit sicherem Gespür einen der berüchtigtsten Duellanten Englands gewählt. Gewiss, Tunbrigdes Geschick mit dem Degen hätte darunter leiden müssen, dass vor ein paar Jahren seine Hand - und die Karte, die er bei dem Spiel unterzuschieben versucht hatte - von einem Stilett durchbohrt und auf den Tisch in der billigen Taverne gespießt worden war. Doch Tunbridge focht beidhändig.
Tunbridge lachte. „Sagen Sie, meine Herren, irre ich mich, oder hat mich der Welpe da soeben gefordert?“
Ruhig drehte Thomas sich um. Die Jahre waren an Tunbridge nicht spurlos vorüber gegangen. Früher war er schon dünn gewesen, nun jedoch war er völlig abgemagert, und die Knochen hoben sich spitz über den hohlen Wangen in seinem Gesicht mit der fahlen Haut, die Augen waren tief eingesunken.
„Ah“, sagte Thomas und lächelte lässig. „Bei Jupiter, wenn das nicht Tunbridge ist! Tunbridge, geben Sie dem Jungen seine Entschuldigung, damit die liebe Seele Ruh hat und wir noch ein paar von diesen Arien genießen können. Es ist zu früh am Abend, um ein Duell in Betracht zu ziehen.“ Weder seine gedehnte Sprechweise noch seine Lässigkeit waren so geübt und geschmeidig, wie sie einmal gewesen waren, aber Tunbridge schien das nicht aufzufallen.
„Ich würde es als persönlichen Gefallen betrachten“, fügte Thomas hinzu.
Ein Hauch flüchtigen Erkennens flackerte in Tunbridges eingesunkenen Augen auf. Als Thomas vor sieben Jahren zum ersten Mal nach England zurückgekehrt war, hatte er sich selbst die Rolle des bei seinem Clan in Ungnade gefallenen, zu Ausschweifungen neigenden Schotten geschneidert. Tunbridge war damals in den Spielhöllen, Vergnügungsetablissements und Tavernen, die Thomas besucht hatte, überall zu Hause gewesen.
Thomas' Plan war es gewesen, sich zunächst mit Ash Merrick, Carrs Sohn, anzufreunden, ihn dann ins Verderben zu stürzen und dadurch auch Carr zu vernichten. Beinahe hätte er sein Ziel erreicht - und hatte entdecken müssen, dass ihm die Judasrolle mehr geschadet hatte als Ash sein Verrat. Kurz darauf hatte Thomas England dann den Rücken gekehrt.
„Wer sind Sie? Donne, nicht wahr?“ Tunbridge verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen. „Sind Sie nicht aus den Highlands gejagt worden, als Sie sich weigerten, für Bonnie Prince Charlie zu kämpfen?“
Das Lächeln wich nicht von Thomas' Lippen. Er hatte die Geschichte selbst in Umlauf gebracht, als Teil seiner Tarnung.
„Ich bestehe auf meiner Entschuldigung, Lord Tunbridge!“ erklärte Pip mit mehr Nachdruck als noch Momente zuvor.
Verflixter
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